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Klimabilanz der taz

22.09.2017 | Freitag | Kommentar | www.taz.de | Meinung + Diskussion

Das Seehofer-Paradox


Warum die Dieselfreunde und Gegner eines Zulassungsendes für Verbrennungsmotoren gerade Fahrverbote wahrscheinlicher machen

 

Es kam, wie im Worst-Case-Szenario vorgesehen. Die komplexe und für den Klimaschutz entscheidende Frage eines längerfristigen Zulassungsendes von Verbrennungsmotoren ist im Wahlkampf und im Dieselstreit explodiert. Horst Seehofer spielt sich zum Retter des Diesels und Verbrenners auf, mit ihm wird es keine Verbote geben, und koppelt daran Koalitionsmöglichkeiten.

Auch Christian Lindner hat die Parole ausgegeben, dass es keine Dieselverbote geben werde und ein „schneller Umstieg auf reine Elektromobilität der Umwelt zum jetzigen Zeitpunkt mehr Schaden als Nutzen bringe“.

Cem Özdemir reagiert auf Seehofer reflexartig, macht den Abschied vom Verbrenner zur Koalitionsbedingung. Und die Grünen sind genau da angekommen, wo sie sicher nicht hin wollten: in der Ecke der Autoverbotspartei. Dieses Mal eben nicht Fleisch, sondern Auto. Das kann die Partei ein paar Prozente kosten, noch problematischer ist es wohl mittelfristig für den Klimaschutz jeder neuen Bundesregierung. Die unüberlegte Zuspitzung bedeutet nämlich, dass wir es erst mal mit einem weiteren politischen Tabu zu tun haben, neben Kohle und Massentierhaltung.

Mit der Materie nicht vertraut

Ein Zulassungsende oder Quoten für elektrische Modelle sind tatsächlich nicht einfach zu kommunizieren. Doch jetzt wird leider in der öffentlichen Wahrnehmung ein zeitlich und räumlich sehr begrenztes Fahrverbot für bestimmte Dieselautos in problematischen Innenstadtbereichen (wegen Stickoxiden) verknüpft mit der ganz anderen Frage der längerfristigen Zulassung von Verbrennungsmotoren wegen CO2 (2030 oder später).

Schon das Wort Verbrennerverbot ist falsch. Mit dem Zulassungsende werden Diesel und Benziner auf der Straße eben nicht verboten. Schlechter hätte es in Sachen Kommunikation nicht laufen können. Warum aber war das beinahe unvermeidlich? Die gesellschaftliche Diskussion zum Zulassungsende in Deutschland war relativ neu. Man könnte sagen, selbst Politikerinnen wie Wirtschaftsministerin Zypris sind noch nicht ganz mit der Materie vertraut („der Diesel ist eigentlich ein guter Motor“).

Das ist überraschend, wo doch aktuell die britische und französische Regierung zumindest das weit entfernte Jahr 2040 als Zulassungsende beschlossen haben. In Norwegen, den Niederlanden und Österreich wurde das Thema schon vor ein, zwei Jahren diskutiert mit Blick auf 2025 oder 2030.

In Deutschland blieb dagegen der erste Beschluss der Grünen im Herbst 2016 relativ unter dem Radar. Und die Unstimmigkeit 2017 zwischen Kretschmann und der Bundespartei hatte gezeigt, wie lausig die Grünen die Kommunikation vorbereitet und innerparteilich abgestimmt hatten. Selbst ein Beschluss des Bundesrats, der es lediglich als wünschenswert beschrieb, wenn 2030 kein Verbrenner mehr verkauft werden würde, führte nicht zu einer echten Debatte über die verschiedenen Wege zum erneuerbaren Autoverkehr.

Das ist überraschend, wo doch die Bundesregierung mit Blick auf das Pariser Abkommen in ihrem Klimaplan sehr wohl sportliche Ansagen macht: 2030 soll im Verkehr 42 bis 40 Prozent weniger CO2im Vergleich zum Jahr 1990 ausgestoßen werden. Bisher konnten im Verkehrsbereich die Emissionen nicht relevant gesenkt werden, und niemand weiß so richtig, wie das angesichts der heutigen politischen Debatte (keine Dieselfahrverbote!) überhaupt gehen soll. Nicht überraschend, dass der heutige Verkehrsminister diese Debatte nicht geführt hat.

Die Frage des Klimaschutzes ist im ­Wahlkampf und im Dieselgate explodiert


Der Thinktank Agora Verkehrswende hat beispielsweise darauf hingewiesen, dass die erneuerbare Elektrifizierung des Autoverkehrs eine so wichtige Rolle spielt, weil für andere Bereiche – wie Lastwagen-, Flug- oder Schiffsverkehr – noch kaum vorstellbar ist, dass diese selbst mittelfristig erneuerbar elektrisch unterwegs sind. Eben für diese werden auch mittel- und langfristig die viel beschworenen sauberen, synthetischen Kraftstoffe gebraucht, die der Autolobby zufolge den Diesel und Benziner retten sollen. Der Ausstieg von Volvo aus der Dieseltechnik hat bereits gezeigt, dass der Glaube an den Diesel als Brückentechnologie nicht von allen in der Industrie geteilt wird.

Klimaziele abgeblasen?

Zum eingetretenen Worst-Case zählt nun, dass im Wahlkampf durch die Freunde des Verbrenners Versprechungen gemacht werden, die mit Blick auf deren eigene Klimaziele einfach nicht zu halten sind. Keine Elektroquoten, kein deutliches Zulassungsende, wie dann? Was ist denn, wenn im Jahre 2030 noch massiv Diesel und Benziner verkauft werden, weil Konzerne und Käufer den Wandel eben nicht aus freien Stücken vollziehen? Werden dann die Klimaziele im Verkehr aufgegeben und die gesamte Dekarboniserung, also Paris, abgeblasen? Welche anderen politischen Instrumente sollen denn den Autokonzernen die Investitionssicherheit für ihre Milliardeninvestitionen bieten, wenn die Gefahr besteht dass Mitbewerber noch lange am Verbrennergeschäft verdienen?

Horst Seehofer wird leider von Journalisten nicht gefragt, mit welcher Wunderwaffe er den Wandel einleiten möchte. Er setzt auf Laisser-faire: lass die Konzerne machen! Nun hat das Dieseldesaster gezeigt, dass genau das nicht funktioniert. Auch die deutschen Autokonzerne haben die Politik in eine Situation gebracht, in der sie von Gerichten zu Fahrverboten gezwungen wird. Genau das könnte mit Blick auf Klimaschutzziele, die ja in der EU auch verbindlich gemacht werden, ebenso passieren. Wenn eben Laisser-faire wieder nicht klappt, könnte das bedeuten, dass es irgendwann in den 30er oder 40er Jahren aus Klimaschutzgründen zu allgemeinen Verbrenner-Fahrverboten kommen müsste.

Das ist nämlich das echte Seehofer-­Paradox. Gerade die Dieselfreunde haben heute durch ihr Wegschauen Fahrverbote und Wertverluste zu verantworten. Das könnte sich in der Zukunft wiederholen, wenn Seehofer sich durchsetzt. Wogegen eine schnelle, gestaffelte Elektrifizierung sowohl mittelfristig Fahrverbote in den Innenstädten vermeiden helfen als auch Fahrverbote für Verbrenner nach 2030. Ohne Ordnungspolitik wird es nicht gehen, das werden die Gewinner der Bundestagswahl in jedem Fall merken.

Kommentar von MARTIN UNFRIED

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