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Klimabilanz der taz

13.06.2017 | Dienstag | FUTURZWEI Nr. 1 | Magazin für Politik und Zukunft

Die ungrüne Insel

Im EU-Ausschuss der Regionen kämpft der britische Lokalpolitiker Andrew Cooper für eine bessere Umweltpolitik in Europa – was seinem Land aber nichts mehr bringt.

An einem Montag am Frühjahrsende sitzt Andrew Cooper in Brüssel in einem Konferenzsaal des Ausschusses der Regionen und erstattet EU-Umweltkommissar Karmenu Vella Bericht, wie das offiziell heißt. In der Anhörung des Umweltausschusses geht um die Umsetzung europäischer Umweltpolitik.

Das hört sich vielleicht nicht prickelnd an, ist aber zentral für die Zukunft. Es geht um die Frage, wie man sicherstellen kann, dass die Mitgliedstaaten die europäischen Standards im Bereich der Luftreinhaltung, bei der Wasserqualität oder beim Müllrecycling auch wirklich einhalten. Das tun sie nämlich derzeit nur bedingt, wie die vielen Vertragsverletzungsverfahren zeigen.

Cooper, 52, hohe Stirn, freundliches Lächeln, ist offizieller Berichterstatter des Ausschusses der Regionen für eine effektivere nationale Umsetzung der EU-Umweltgesetzgebung. Er ist ein Grüner. Und er ist Brite, was im Angesicht des Brexits eine leicht absurde Situation ist.
Für die Umsetzung der EU-Politik auf der Insel sieht es schlecht aus. Entsprechend frustriert sind Europas Briten und speziell die Ökos. Die Green Party war gegen den Brexit und kämpft für ein grüneres Königreich. In Brüssel gibt es aber nur drei britische Grünen-Abgeordnete. In London sitzt wegen des Mehrheitswahlrechtes sogar nur eine Abgeordnete im Parlament. Die wurde in der grünen Hochburg Brighton bei der letzten Wahl direkt gewählt. Insgesamt liegen die Grünen in Umfragen meist um die drei Prozent, also weit entfernt von jeder Regierungsbeteiligung.

Die Neuwahl-Ansetzung der britischen Premierministerin für den 8. Juni 2017 hat Cooper unerwartet auch noch in den Wahlkampfmodus gebracht. Eigentlich müsste er in seinem Wahlkreis Huddersfield von Tür zu Tür gehen, er ist dort der regionale Kampagnenkoordinator. Doch an diesem Tag muss er in Brüssel einen recht komplexen Plan der Europäischen Kommission diskutieren.

Der maltesische Umweltkommissar Vella hat nämlich mit dem »Environmental Implementation Review« eine Methode vorgeschlagen zur ständigen Überprüfung der nationalen Umsetzung mit zweijährigen Berichten und Empfehlungen der Kommission. Dazu national organisierte Dialoge zwischen allen Ebenen. Die jüngst veröffentlichten Länderberichte geben detaillierte Auskunft über die Lage. Im Deutschen Bericht (http://ec.europa.eu/environment/eir) wird beispielsweise die Abfallpolitik gelobt angesichts der höchsten Recyclingquoten aller Mitgliedstaaten – und die Belastungen durch die Landwirtschaft werden als ein nach wie vor großes Problem für die Biodiversität beschrieben. Besorgniserregend sei ebenfalls die Luftqualität, insbesondere die Stickoxide und die Ammoniakemissionen.

Die entscheidende Frage bei der Umsetzung ist die der Kompetenzen. Schon vor zwanzig Jahren wollte das Europäische Parlament der EU-Umweltagentur in Kopenhagen Aufgaben bei der Überwachung des Vollzugs übertragen. Die Mitgliedstaaten haben sich allerdings bis heute erfolgreich gewehrt. Vollzug und Vollzugsüberwachung machen bei EU-Umweltgesetzen die Mitgliedstaaten, also oft regionale und lokale Behörden. Gibt es vor Ort Probleme, bleiben der EU-Kommission nur langwierige Vertragsverletzungsverfahren. Strukturelle Umsetzungsprobleme können damit nicht angegangen werden, beispielsweise die desaströse Abfallpolitik in Neapel. Daran wird sich auch durch den neuen Ansatz nichts ändern. Die Kommission versucht es – mangels politischer Alternativen – auf die sanfte Tour mit entsprechenden Empfehlungen.

DIE WENDE ZU MEHR ÖKOLOGIE FINDET DURCH DIE EU STATT.

Grundsätzlich trifft dies beim Europäischen Parlament und bei Cooper und seinen Kollegen von der regionalen und lokalen Ebene auf große Zustimmung. Insbesondere Städte und Regionen fühlen sich, wie im Bereich der Luftqualität, von Brüssel und von ihren Hauptstädten allein gelassen. Sie erhoffen sich nicht nur mehr Berichte, sondern mehr Mittel. Doch wenn es auch tatsächlich gelingt, dass nationale Regierungen aufgrund der Berichte und Empfehlungen mehr in die Umsetzung investieren, wird das die Umweltgesetzgebung der Insel wohl nicht mehr betreffen. So muss Andrew Cooper jetzt – wie viele EU-freundliche Briten – mit der etwas schrägen Situation umgehen, Politik zu machen für die Zukunft von anderen. Was die EU-Umweltstandards nach dem Brexit noch bedeuten werden, ist völlig unklar. Aus der Tory-Partei höre man einige Stimmen, die unter dem Slogan der »Wettbewerbsfähigkeit« die Standards schleifen wollten. Nicht nur den britischen Grünen, sondern vielen Natur- und Umweltschützern macht das große Sorgen. Ohne EU-Umweltgesetze droht der Rollback.

Das ist für viele überraschend, aber die Transformation zu mehr Ökologie findet durch die EU statt. Und insbesondere die lokale und regionale Ebene hofft darauf, weil dort eben nicht nur Fortschritt ist, sondern abgewählt wird, wer Autos verbieten will oder Industriegebiete begrenzen. Sozialökologisches Denken findet also in der EU tatsächlich einen Anker, und der wird jetzt in Großbritannien gelichtet.

Labour ist, was EU und Umwelt angeht, auch keine Hilfe. Cooper sagt, im Grunde habe keine der drei großen Parteien – Tories, Labour, Liberaldemokraten – die Bedeutung des Klimawandels verstanden, inklusive Jeremy Corbyn. Er selbst trat 1988 den Grünen bei, weil sie als Einzige seinem sozialökologischen Portfolio entsprachen.

Andrew Cooper sitzt im Rat von Kirklees Metropolitan Borough, eine Art Städteregion im nordenglischen West Yorkshire zwischen Manchester und Leeds mit rund vierhundertausend Einwohnern. Nach seiner Erfahrung gibt es dort schlicht nicht mehr genug Kontrolleure. Die lokale Umweltbehörde sei in den letzten Jahren aus Kostengründen heftig abgebaut worden. Dies sei der Grund, warum es bei Vollzug und Überwachung hapere.

Als Berichterstatter in Brüssel schreibt er nun bis zum Sommer eine Stellungnahme, die die EU-Kommission und die Mitgliedstaaten mit der Perspektive der Städte und Regionen versorgt. Zentrales Problem für ihn: Die Europäische Kommission hat den Klimaschutz erstmal völlig außen vor gelassen. Die Erklärung des Kommissars: Weil Umwelt und Klima zu zwei unterschiedlichen Verwaltungen gehören, müsse er den Prozess erst noch intern koordinieren.

Eine weitere Erkenntnis: Es fehlt eklatant an der Verzahnung zwischen den politischen Ebenen. Das nationale Klimaziel der britischen Regierung sei beispielsweise in keiner Weise übersetzt in regionale und kommunale Ziele. Und konkret fehle es an Unterstützung: Die energetische Sanierung komme im Kirklees Borough nur schleppend voran, auch der Ausbau der erneuerbaren Energien stocke wegen des Stopps der nationalen Einspeisevergütungen. Als professioneller Energieberater habe er die letzten Jahre erfahren, was in der Praxis funktioniere und was nicht. Am Ende der Anhörung verspricht der Umweltkommissar, das Thema Klimaschutz in einer nächsten Runde des »Reviews« in zwei Jahren mit aufzunehmen.

Immerhin.

Diese Runde wird dann ohne Andrew Cooper auskommen. Nach einem Brexit werden auch die britischen Regionen und Städte nicht mehr im Brüsseler Ausschuss der Regionen vertreten sein.

Link zum Artikel:

ec.europa.eu/environment/eir

Links zu Andrew Cooper:


www.facebook.com/Andrew4Huddersfield


kirklees.greenparty.org.uk/people/andrewcooper-candidate-biog.html

 

 

MARTIN UNFRIED berät derzeit den Europäischen Ausschuss der Regionen in Sachen »Environmental Implementation Review«.

 

 

13.06.2017 | Dienstag | FUTURZWEI Nr. 1 (zeozwei wird zu taz.FUTURZWEI - Ausgabe 3/2017) | taz.futurzwei.org | Magazin für Politik und Zukunft | Titelthema: Alles könnte anders sein | Die ungrüne Insel | Im EU-Ausschuss der Regionen kämpft der britische Lokalpolitiker Andrew Cooper für eine bessere Umweltpolitik in Europa – was seinem Land aber nichts mehr bringt. | Bio: de.wikipedia.org/wiki/Martin_Unfried

 

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