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18.02.2012 | Samstag | Kolumne fairkehrt 1/2012

Helm auf zum Gebet

Kommt etwa eine Helmpflicht auf uns zu?

 

Es gibt Themen, da bin ich dafür und dagegen. Das ist natürlich charakterschwach, hält aber geistig flexibel. Beim Fahrradhelm beispielsweise kommt es auf die Tageszeit an. Morgens nach dem Aufstehen bin ich streng gegen eine Helmpflicht, weil ich so schnell wie möglich ins Büro radeln möchte und meine Haare noch nicht trocken sind. Ich gestehe, ich bin einer, der nur auf dem Rennrad einen Helm aufsetzt. Im Alltag habe ich eine gute Ausrede: Ich möchte ein guter Ausländer sein und mich brav in die niederländische Gesellschaft integrieren. Hier fietst nämlich kein normaler Mensch mit Helm. Ich hatte mal einen finnischen Kollegen mit Helm, aber die Finnen machen noch ganz andere Sachen.

Wir zuhause scheitern sogar kläglich mit dem Befehl an unsere Kinder, wenigstens auf dem Schulweg einen zu tragen. Zu groß der Spott, zu laut das Gelächter, zu peinlich die Ausgrenzung bei den entscheidenden FreundInnen. Es fietst in Maastricht nach Aussage der Kinder auch kein normales Kind mit Helm zur Schule. Wenn doch, dann sind es kleine Finnen. Alle einheimischen Eltern finden oben ohne prima. Argument: Die Radwege sind sicherer als die Rente. Und das stimmt natürlich auch, überzeugt mich aber spätestens am Abend nicht mehr, wenn die krachenden Bromfietsen von hinten an mir vorbeirasen. Natürlich gibt es auch bei uns schwere Kopfverletzungen und Helme könnten auch im Königreich des Fahr­­rades einige Schädel retten. Das kannst du aber, wie gesagt, mit diesen Holländern knicken.

Nun höre ich, dass sich in der Räder-Republik Deutschland was tut: Die CDU-Bürgerschaftsfraktion hat im Hamburger Landesparlament einen Antrag eingebracht, der anscheinend die Einführung der Helmpflicht für Kinder und Jugendliche vorsieht. Die SPD signalisiert Zustimmung. Auch Bundesverkehrsminister Herr Ramsauer und der baden-württembergische Verkehrsminister Hermann könnten sich das bundesweit vorstellen. Ich eigentlich auch: Der Deutsche ist ja kein Holländer. Wenn da einer sagt: „Ab Montag Helm auf!“, dann wird das wahrscheinlich sogar gemacht. Der Finne hat übrigens in Finnland auch eine Helmpflicht, hab ich gelesen, was wiederum das merkwürdige Verhalten meines Kollegen erklärte.

Ein Argument von Winfried Hermann überzeugt mich: „Man muss das Freiheitsgefühl ohne Helm gegen das Verletzungsrisiko abwägen. Ich entscheide mich für Gesundheitsschutz.“ Jawoll, ich natürlich auch! Wobei ich gleichzeitig zweifle: Führt das nicht zur Fahrradverdrossenheit und zu ­weniger Radverkehr? Und gibt es dann Kontrollen, Bußgelder und Polizeistaat? In Finnland wird merkwürdigerweise nicht kontrolliert.

Noch merkwürdiger sind die nationalen Altersgrenzen der Schutzbedürftigkeit: Helmpflicht in Austria bis elf Jahre, in Schweden bis 14 und in Spanien bis 17. Warum dürfen gerade die österreichischen Teenager ohne Helm radeln? Ist es wegen der extrem harten Alpenschädel? Wie gesagt, ich bin am Abend für und morgens gegen die Helmpflicht. Am Morgen unterschreibe ich die Positionen von ADFC und VCD: Natürlich sollte erstmal das Unfallrisiko für Radfahrer durch eine radfahrerfreundliche Verkehrsplanung verbessert werden wie in NL. Keine Ausreden für lausige Radwege und kriminelle Abbiegespuren nach dem Autofahrer-Motto: „Ach, kurz gestreift? Macht ja nix, der hat ja einen Helm auf!“

Apropos Ramsauer und die Hamburger CDU: Diese Autofahrer radeln wahrscheinlich nicht mit nassen Haaren ins Büro, sondern wollen noch rasanter mit der Dienstlimousine über den Radweg cruisen. Das ist natürlich jetzt unsachlich. Vielleicht ein Kompromiss von mir als Gegner und Befürworter: Helmpflicht für uns Radler ja, aber dann flächendeckend in der Stadt Tempo 20 km/h für Autos. Und die Hälfte aller Straßen und Spuren werden Radwege.

Martin Unfried

18.02.2012 | Samstag | fairkehr 1/2012 | fairkehr, das VCD-Magazin für Umwelt, Verkehr, Freizeit und Reisen, ist die Mitgliederzeitschrift des Verkehrsclubs Deutschland (VCD) e.V. | Kolumne fairkehrt VON MARTIN UNFRIED

 

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