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29.01.2012 | Sonntag | Ökosex

Konzernchefs zu Klassenkämpfern!

Der Plot des armen Stromkunden, der für die Solaranlage der Reichen blutet, ist professionelle Kommunikation. Professionell manipulierend.

 

Sie haben es vielleicht gemerkt: es sind wieder Festwochen des Photovoltaik-Bashings. „Katastrophe“ schreien FAZ, Spiegel, WELT, Cicero und andere Blätter, weil die Energiewende tatsächlich Wirklichkeit wird mit dem Zubau an Solarmodulen! Das löst bei erheblichen Teilen der Publizistik Horrorvisionen aus: „Solarwahn, Ananas in Alaska, Irrsinn, völlige Ineffizienz“, vermelden leidend die Leitmedien. Dabei ist doch nur Herrliches passiert:

Im Jahr 2011 wurden wieder mehr als 7 Gigawatt Solarmodule in Deutschland aufgebaut. Sogar ein bisschen mehr als 2010. Wegen des deutschen Marktes wurde bekanntlich global die Massenproduktion angeworfen und so fielen die Modulpreise heftiger als erwartet. Heute gibt es eine Million PV-Anlagen in Deutschland und diese sind im Grunde der Volkswagen der Energiewende. Wir können also heute schon analog zum Fußball-Deutschland von PV-Deutschland sprechen. Wir könnten eigentlich alle miteinander zufrieden auf das Erreichte anstoßen und 2012 die nächsten Gigawatt Bürgeranlagen planen. Das wäre nämlich zum Wohle des deutschen Handwerks, der zahlreichen neuen Energiegenossenschaften, der Maschinenbauer und der chinesischen und deutschen Modulhersteller.

Leider fiel auch dieses Jahr die nationale PV-Feier aus. Dagegen ist der süddeutsche Zahnarzt in aller Munde. Der Plot, der PV-Gegner ist prima aufbereitet und könnte von professionellen Spindoktoren kommen: der Starnberger Zahnarzt, dieser Hund, bereichert sich schamlos auf dem Rücken der Armen Hartz-IV Haushalte mit seinen subventionierten Modulen. Da aber kommt schon der stolze Ritter im Kampf für soziale Gerechtigkeit. Diese Rolle des edlen Klassenkämpfers übernimmt in diesen Tagen überraschenderweise ein Konzernchef. Die Solarförderung sei die schlimmste Umverteilung von unten nach oben überhaupt, sagte ausgerechnet RWE Chef Jürgen Grossmann. Jemand, der seinen Klassenkampf sozusagen aus der S-Klasse heraus führt.

Laut Handelsblatt beklagte Grossmann, dass der Mini-Jobber aus Moabit die Solaranlage auf dem Praxisdach seines Zahnarztes im Chiemgau finanziere. Zahnarzt, Chiemgau, Starnberger See, Dolce Vita! So funktioniert Kommunikation. Wirtschaftsminister Rösler legt als Freund der Armen noch eins drauf und spricht vom Strompreis als Brotpreis des 21sten Jahrhunderts, den es durch das Einstampfen der Solarbranche zu retten gilt. Strom wie Brot? Stimmt, möchte man sagen, beides wird in Haushalten immer noch massenhaft weggeworfen, weil die Kosten anscheinend für viele nicht relevant sind. Aber die schiefen Sozial-Geschichten gemixt mit hochgerechneten Horrorkosten kommen in den Medien an und sind rein professionell gesehen gut gemacht. Eben professionell schräg, manipulierend und verlogen.

Soziale Gerechtigkeit? Warum sich gerade große, stromintensive Konzerne an der Finanzierung der Energiewende nicht beteiligen müssen, ist tatsächlich ein sozialpolitischer Skandal. Die sind nämlich von der EEG-Umlage so gut wie befreit und seit neuesten auch weite Teile der Industrie von Netzgebühren. Dies abzustellen, wäre tatsächlich ein Akt der Gerechtigkeit. Photovoltaik abwürgen dagegen, wäre zweifach für die Stromkonzerne gut. Denn die PV drückt die Erlöse der Konzerne in Spitzenstromzeiten an der Strombörse. Und das ist nun ein positiver Effekt, der nicht auf der Stromrechnung steht. Deshalb ist das Hochrechnen der EEG-Umlage (100 Euro mehr im Haushalt!) eben wenig aussagekräftig. Und auch wenn die Förderung der Erneuerbaren was kostet: Privathaushalte sind alles andere als die Opfer des Photovoltaikbooms, sondern die Profiteure.

Bei sinkenden Modulpreisen kann bald jeder selbst zum Stromproduzenten werden, auch ohne Dach mit kleinen Anteilen in einer Bürgeranlage. Und mit eigenem Dach verändert sich sogar das Verhältnis von Konzern und Stromkunde. Die Frage ist nämlich, ob die Konzerne die Strompreise weiter beliebig erhöhen können, wenn viele die Alternative haben, ihren eigenen Strom auf dem Dach selber zu machen. Darum fürchten die Konzerne den nicht mehr fernen Tag, an dem es dienstags Module bei Aldi im Angebot gibt. Das wird ein Spaß und wird sich eher dämpfend auf Haushaltsstrompreise auswirken. Da ist es nicht verwunderlich, dass Konzernchefs lieber über ihren Starnberger Zahnarzt ablästern.

 

MARTIN UNFRIED ÜBER ÖKOSEX

*) Die Grafik wird wiedergegeben mit freundlicher Genehmigung von: Miro Poferl und Utopia

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