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08.06.2013 | Samstag | Kolumne fairkehrt 3/2013

Stunde der auto­mobilen Wahrheit

Gehört er ("Volkswagen eco up!") zur automobilen Avantgarde?

 

„Isch abe gar gain Audo!“ Die Älteren erinnern sich. Das war ein italienischer Reklame-Witz, der mir noch vor ein paar Jahren auf jeder Party arrogant über die Lippen ging. Kein Auto zu haben verlieh Glaubwürdigkeit fürs ökologische Nervensägen. Im Zeitalter der drohenden Klimakatstrophe sagten die Leute dann immer so Sachen zu mir wie: „Wenn das Pendeln, der Flö­tenunterricht, das Campen, das Gleitschirmfliegen, der Großeinkauf, die Oma und der schlechte ÖPNV nicht wären, hätte ich natürlich auch kein Auto.“ Merke: Irgendwas ist immer. Darum haben ja auch so viele Leute immer noch einen rollenden Geldvernichter. Oder mal wieder, wie meine pendelnde Frau und ich. Und das trotz angeblich abnehmender Autoliebe und Carsharing-Euphorie. Auch die einstürzenden europäischen Neuwagenumsätze sind für mich noch kein Zeichen für die S-klassenlose Gesellschaft. Da bin ich bekanntlich Realo. Wenn ÖPNV und gutes Rad teuer sind, kommt es beim Autokauf umso mehr auf die Auto-Emotionen an: Steinzeit oder Fortschritt. Deshalb ist die ökologische Neuwagenberatung so wichtig. Bekannte und Verwandte wenden sich bekanntlich in dieser Sache vertrauensvoll an mich.

Mein jüngster Misserfolg: Ich hatte wochenlang einen ­öko­logisch nicht uninteressierten Bekannten bearbeitet. Ich sagte: „Wir müssen radikal umsteuern, sonst landen wir gemäß Weltbank und Internationaler Energie-Agentur bei vier Grad Temperaturerwärmung, Verwüstung, Überschwemmung und Ernteausfälle inklusive.“ „Ojemine!“, meinte der Neuwagenkäufer und zeigte sich deshalb gegenüber dem Volkswagen Up aufgeschlossen, der bekanntlich in der Erdgasversion die VCD Auto-Umweltliste anführt. Ich schwärmte von der Biogastankstelle in unserer Region. Damit wäre er beim Öko-Cruisen ganz vorne dabei, sogar bilanztechnisch besser als Elektro und sicher viel besser als mein – aus heutiger Sicht – suboptimaler Drei-Liter-Pflanzenöl-Lupo. Mehr Öko als ich zu sein, fand er nicht unspannend.

Wenige Wochen später kam der Anruf: „Up gekauft!“, sagte er. „Toll!“, sagte ich. „Kleiner Nebenaspekt“, gab er zu, „als normaler Benziner.“ Mir fuhr der Schrecken in die Glieder. „Warum nur?“, flüsterte ich weinerlich. Seine Frau fand Erdgas doof, wegen Tanken und so. Was für eine Enttäuschung mit Blick auf die polaren Eismassen. So dicht können im internationalen Klimaschutz Sieg und Niederlage beieinanderliegen. Jetzt fährt mein – ehemaliger – Bekannter einen Steinzeit-Kleinwagen mit realem fossilem Spritverbrauch um die fünf Liter. Innovationstechnisch ist das unter null. Ich brauchte drei Wochen, um mich davon zu erholen.

Dann kam langsam die Erkenntnis, dass auch für mich die Stunde der Wahrheit bald schlagen würde. Das ÖPNV-­Problem meiner Frau löst sich nicht in Luft auf und eine Scheidung ist auch nicht in Sicht. Der Drei-Liter-Pflanzenöl-Lupo war zwar vor wenigen Jahren noch besser als ein fossiler Sieben-Liter-Golf. Doch die ambivalente Rapsölbilanz trotz regionalem Anbau, die Stickoxid-Problematik in Maastricht und ­Aachen und meine Verpflichtung zur absoluten Avantgarde sprechen für einen Quantensprung.

Was also kommt jetzt in Frage? Keine fossilen Brennstoffe im Tank ist klar. Also geht es um erneuerbaren Strom versus Bio-Erdgas. Natürlich schaue ich mir ab und zu den Markt an. In Frankreich gibt es ab 15000 Euro jede Menge jung gebrauchte elektrische Kisten. Trotz bescheidener Reichweite würde das für die Pendelstrecke reichen. Dafür würde sprechen, dass wir selbst genug erneuerbaren Strom machen mit Photovoltaik und Windanteilen. Meine Beteiligung an einem Bürgerwindrad reicht locker für 20000 Stromkilometer. Was aber ist mit den teilsweise überlasteten Stromnetzen und den problematischen Batterien? Da wäre womöglich die sparsame Erdgaskiste optimaler – mit Biogasbetrieb und später „Wind-to-Gas“. Hätte den Vorteil, dass ich nicht auch noch für den Verbrauch von seltenen Erden für die Batterie verantwortlich wäre, sondern nur für die drohende Vermaisung. Merke: Auch die Avantgarde muss Kompromisse eingehen. Wer ähnliche Probleme hat, melde sich bitte.

Martin Unfried

08.06.2012 | Samstag | fairkehr 3/2013 | fairkehr, das VCD-Magazin für Umwelt, Verkehr, Freizeit und Reisen, ist die Mitgliederzeitschrift des Verkehrsclubs Deutschland (VCD) e.V. | Kolumne fairkehrt VON MARTIN UNFRIED

 

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