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10.06.2012 | Sonntag | Ökosex

Kosten-Tsunami frisst Haare vom Kopf

Die Energiewende führt in die Verelendung, die Armen sitzen im Dunkeln, was hilft, ist ein Tempolimit für Erneuerbare

 

Lese ich in diesen Tagen deutsche Zeitungen, spüre ich die heftigen Emotionen. Warum nur hassen so viele Spiegel und FAZ Redakteure die Erneuerbaren? In den letzten Tagen haben diese angeblichen Leitmedien mal wieder die hysterischen Jammerlappen gegeben und nachgeplappert, was die altbekannten Gegner der Energiewende – Brüderle, Kauder, Rösler etc. - vorgekaut hatten: „Energiewende gescheitert! Leitungsbau kommt nicht voran! EEG viel zu teuer!“. Viele Atomfreunde von früher werden hier witziger Weise zu Technikskeptikern, die sich schwer tun, an den technischen Fortschritt in Sachen Erneuerbare, Speicherung und dezentrale Netze zu glauben.

Dahinter lauert ein hanebüchener Mythos: ohne Energiewende wäre alles locker und easy und wir hätten keine Kosten und gesellschaftliche Konflikte. Das ist natürlich völliger Quatsch: die Leitungsinfrastruktur muss sowieso erneuert werden, weil die Konzerne jahrelang zu wenig in den Bau investiert hatten. Und natürlich wäre ein weiterer jahrzehntelanger Kampf um Kohlekraftwerke und Atom wesentlich heftiger gewesen. Da sind die lokalen Debatten um Windmühlen eher überschaubar.

Noch ein weiterer Mythos steckt hinter der heutigen Energiewende-Hysterie: demnach wäre es sowieso locker und easy, altersschwache Atomkraftwerke jahrzehntelang sicher zu betreiben. Das ginge ohne Störfälle und ungeplante Abschaltungen und wäre super preisgünstig. Daraus folgt: „Erst die Energiewende frisst uns die Haare vom Kopf!“ Ich muss zugeben, dieser Spin wurde in den letzten Monaten sehr erfolgreich gestreut.

Noch toller ist, was seit letzter Woche plötzlich als Gemeingut gilt: es seien die Erneuerbaren Energien, die schnurstracks zur Verelendung der deutschen Haushalte führen. Sogar die Tagesschau hat mit einem Bericht über Stromabschaltungen bei Hartz IV Familien kräftig mitgemischt. „Rettet die sozial Schwachen vor der Energiewende!“ riefen nämlich die Beschützer der Armen und Waisen. Merkwürdig nur, dass die Koalition erst noch im Jahr 2011 die Heizkostenkomponente beim Wohngeld wieder abgeschafft hatte, heute aber ihre Protagonisten behaupten, der hohe Strompreis führe Hartz IV Bezieher direkt ins Verderben.

Diese kleinen Ungereimtheiten haben in den letzten Tagen beim medialen Erneuerbare-Bashing nicht gestört. Auch nicht der Blick auf eine verhältnismäßig reiche Gesellschaft als Ganzes, die für ihre Neuwagen im Schnitt 25 000 Euro ausgibt. Natürlich können sich die meisten Privathaushalte bisher die Stromerhöhungen leisten. Dass diese im Vergleich zur Industrie ungerecht hoch ausfallen wegen der technischen Berechnungsgrundlage der EEG-Umlage ist ein anderes Thema.

Aber eine allgemeine Stromarmut in Deutschland? Die Energiewende in Zusammenhang mit Stromabschaltungen verschuldeter Haushalte zu bringen ist ziemlich abgezockt, das sagen sogar die Verbraucherverbände. Höhepunkt der Geschmacklosigkeit: Es komme ein „Kosten-Tsunami“ auf uns zu, meldet FAZ online. Kosten-Tsunami? Das Bonmot stammt von einem „seriösen“ Berater der Bundesregierung, Professor Justus Haucap, Chef der Monopolkommission und Gegner des Erneuerbaren-Energien-Gesetzes.

Die Wortschöpfung ist interessant beim Verständnis des Kulturkampfs, den die Skeptiker der Energiewende im Moment führen. Herr Haucap missbraucht also die Opfer des Tsunamis, um die „echte“ Katastrophe auszumalen. Die rollt nämlich durch die Förderung der Erneuerbaren Energien auf Deutschland zu. Ein solches Hijacken von Begriffen nennt man glaube ich Guerilla-Kommunikation. Das zischt nicht schlecht. Energiekommissar Oettinger verwendete letzte Woche ebenfalls einen bereits eingeführten Begriff und deutete ihn um. Er sprach sich für ein Tempolimit aus. Allerdings nicht auf der deutschen Autobahn, sondern beim Ausbau der erneuerbaren Energien. Das fand ich fast noch origineller.

 

MARTIN UNFRIED ÜBER ÖKOSEX

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*) Die Grafik wird wiedergegeben mit freundlicher Genehmigung von: Miro Poferl und Utopia

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