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Heft 05/2009 PDF-Version dieses Artikels

 

Raketentest

Heute kein Wort über Autos. Die ganze IAA-Berichterstattung hat genervt. Ach, sind wir alle öko! Elektro, Hybrid! Ich möchte nichts mehr hören von tollen Prototypen, die leider noch nicht im Autohaus stehen. 2012 vielleicht?

Kaufen kann ich dagegen die zehn neuen SUVs, Geländewagen für städtische Bordsteine, die auch nebenbei vorgestellt wurden. Dieser hochsubventionierten Branche wird insgesamt zu viel Aufmerksamkeit geschenkt. Grundproblem: Ihre Dudenhöffers und Wissmänner haben zu viel Sendezeit. Auch das blockiert das breite gesellschaftliche Denken in Sachen Verkehr.

Das ist bei einem anderen Verkehrsmittel leider anders: Da steht die Innovation bereits im Laden und keiner hat es richtig mitgekriegt. Ich meine ein Verkehrsmittel, das zu Unrecht als Elektrofahrrad bezeichnet wird. Nennen wir es ­Rakete. Rief mich am Samstag ein Kollege aus Aachen an. Er wolle mal eben mit seinem Neuen rüber nach Maastricht ­fahren. Das sind 40 Kilometer. Der Mann ist keine 20 mehr. Der Mann raucht. Der Mann ist kein Rennradfahrer. Und doch hatte er dieses selige Lächeln im Gesicht, als ich die Tür öffnete. Ich war blass vor Neid. Was für eine Schüssel! Ein Hightech-Teil einer deutschen Edelschmiede. Genauer gesagt, war es ein Riese und Müller Delite Hybrid. Ich scheue mich nicht, mit Markennamen um mich zu werfen. Die Autojohnnies machen das ja auch die ganze Zeit. Da ist es nur redlich, Namen wie Giant, HP-Velotechnik, Flyer, Kalkhoff mal fallenzulassen. Immer mehr sind ins Raketengeschäft eingestiegen. Ich hatte bereits das Vergnügen, unterschiedliche Raketen von Flyer, Batavus und Koga Miata testen zu dürfen. Es waren jeweils multiple Orgasmen.

„Darf ich mal fahren?“, frug ich am Samstag natürlich ­sofort und schaute sehnsüchtig auf das Hammerteil. ­Gönnerhaft wies mich der stolze Besitzer in das Display ein und empfahl für die Zwölf-Prozent-Steigung zum Pietersberg Stufe 4. Ich stob davon. Und sauste schon viel zu schnell durchs Tempo-30-Kwartier. Dann flog ich den Berg hoch, versägte zwei irritierte Mountainbiker und pfiff dabei. „Dat is geen Fiets!“, rief ich ihnen zu. Das sieht nur so aus.

Tatsächlich liegt hier der Schlüssel zum Verständnis der Umwälzung, die diese Nicht-Fahrräder auslösen können. Ein äußerst umweltfreundlicher Freund beispielsweise hält nix von Elektrounterstützung. Er findet, man könne am Berg auch schwitzen. Wo kämen wir da hin, wenn jeder auch noch Strom brauche fürs Radfahren. Fälschlicherweise denkt er, es handle sich um ein bloßes Fahrrad mit Unterstützung. Nein, das ist es nicht. Es ist ein komplett anderes Verkehrsmittel. Genau das Fahrzeug, mit dem beispielsweise seine Frau bei gutem Wetter zur Arbeit fahren könnte. Sie nimmt verständ­licherweise das Auto wegen der erheblichen Steigungen auf den sieben Kilometern. Nach einem harten Arbeitstag ist ­unterstützungsloses Treten keine ­Option. Die Rakete dagegen schon: Sie wird im Pendelverkehr unglaubliche ökologische Potenziale erschließen. Verglichen mit den immer noch völlig ineffizienten Steinzeitmopeds und Rollern ist das eine Offenbarung.

Das war auf jeden Fall Konsens, als wir am Samstag noch lange in meinem Garten beim Kaffee saßen und die Revolution feierten. Der Akku schnurrte an der Steckdose wie ein Kätzchen. Wahnsinn: Von Haus zu Haus ist der Bus zwischen Maastricht und Aachen nicht schneller. Dieser fährt mit Diesel. Die Rakete fliegt mit Ökostrom.

Martin Unfried

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