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10.12.2017 | Sonntag | www.klimaretter.info | Standpunkt
In den letzten Monaten habe ich häufiger zum Verbrennungsmotor geschrieben. Ich plädiere – aus Gesundheits- und Klimaschutzgründen – für das Ende der Zulassung von Diesel- und Benzinmotoren spätestens 2030. Auch werbe ich dafür, den Übergang zum batteriebetriebenen Elektroauto zu beschleunigen, und empfehle den Kauf von Elektroautos.
Nun widerspricht meine Haltung vielen Artikeln der letzten Wochen und im Besonderen auch einer Überschrift auf klimaretter.info: "Die Lüge vom sauberen Elektroauto". Darunter stand ein Artikel, der darauf hinwies, dass wir eine komplette Verkehrswende brauchen und das Elektroauto eben nicht die Lösung sein kann.
Das haben kluge Verkehrswissenschaftler aufgeschrieben und ich stimme dem zu. Natürlich argumentieren alle deutschen Umweltverbände so. Und auch der ökologische Verkehrsclub VCD. Das bloße Austauschen des Verbrenners durch das E-Auto ist keine Verkehrswende.
Die Überschrift "Die Lüge vom sauberen Elektroauto" war dennoch missverständlich. Den Übergang zur E-Mobilität an sich haben die Verkehrswissenschaftler nicht infrage gestellt. Die richtige Überschrift wäre deshalb gewesen: "Effiziente Elektroautos als Baustein einer umfassenden Verkehrswende".
Kein kräftiges "Ja" zum Elektro-Auto von den Umweltverbänden
Ist es nun ein Problem, dass viele Artikel derzeit suggerieren, dass Elektroautos des Teufels sind? Ja, denn mich quatschen ständig Leute an, die von Kohlestrom, giftigen Akkus und katastrophaler Ökobilanz berichten. Und das sind Bekannte, die durchaus weniger Stickoxide und CO2 wollen, selber aber noch Benzin oder Dieselautos fahren.
Warum sehen wir also im Lager der Umweltfreunde noch kein kräftiges "Ja" zum Elektroauto? Weil tatsächlich Rohstoffe und Recycling eine Herausforderung sind. Allerdings auch weil viele Verkehrs"fundis" fürchten, dass eine klare Ansage in Sachen E-Auto das "System Auto" an sich stützt, wo es doch bekämpft gehört.
Das wird zum Problem, wenn es darum geht, gesellschaftliche Mehrheiten zu organisieren für ein Zulassungsverbot von Verbrennungsmotoren. Diese Mehrheiten – so meine These – kommen eher zustande, wenn der Mainstream von der klaren Option Elektroauto überzeugt ist.
Bei der Verkehrswende wurde in Deutschland wenig erreicht
Zur Erinnerung: Auch der Atomausstieg war erst mehrheitsfähig, als die Erneuerbaren den Durchbruch geschafft hatten und die Alternative glaubwürdig war. Für eine umfassende Verkehrswende sehe ich noch längst keine gesellschaftlichen und politischen Mehrheiten. Für das Detail "Übergang zum Elektroauto" dagegen schon. Hier kann auch die industriepolitische Vernunft helfen, denn die Gefahr ist real, dass Tesla und die Chinesen Daimler und Co plattmachen.
Überhaupt gibt es eine unangenehme Wahrheit im Verkehrsbereich. Die Freunde der Verkehrswende – also Umweltverbände, VCD, ADFC, Grüne etc. – haben in Deutschland erstaunlich wenig erreicht. Vergleich: In den Niederlanden, wo ich lebe, sind bereits viele politische Instrumente, die in Deutschland seit Jahren gefordert werden, eingeführt. Eine Stadtplanung, die das Auto verdrängt. Eine Infrastruktur, die das Radfahren zum Vergnügen macht. Viel mehr Investitionen in den ÖPNV und heftige Steuern auf große, schwere Diesel und Benziner.
Ist es nicht merkwürdig: Obwohl die deutsche Umweltbewegung sehr wohl auf anderen Gebieten Erfolge feierte, sind die Radwege immer noch lausig, die Dienstwagen absurd subventioniert und die Stellplatzverordnung unangetastet. Verkehrswende? Nicht mal die Größe der Autos hat die Umweltbewegung hier zulande positiv beeinflusst, geschweige denn den kulturellen Autowahn und die politische Macht der Autokonzerne geknackt. Wenn wir ehrlich sind, können wir den Amerikanern für "Dieselgate" danken.
Warum haben wir so wenig erreicht? Das Totschlagargument von der "gemeinen Autolobby" taugt dabei nicht als Ausrede. Es ist Zeit, mal konsequent zu diskutieren, was schiefgelaufen ist. Meine These: Das ÖPNV-Mantra hat nicht geholfen, um wirkliche Erfolge in Sachen Auto zu verbuchen. Es gibt echte Strategieprobleme. Wer macht denn Dampf in Richtung Verbrenner-Ende? Der VCD, dem ich mich verbunden fühle, beispielsweise zu meinem Erstaunen nicht wirklich.
In vielen Umweltverbänden herrscht eine "Ja, aber"-Haltung zum Elektroauto. Die Wahrheit ist bitter: Zurzeit wirkt die Hoffnung auf eine umfassende Verkehrswende eher wie Selbstbetrug. Wie aber gewinnt man gesellschaftliche und politische Mehrheiten für den konkreten Austausch der Motoren?
Erstveröffentlichung auf www.klimaretter.info, am 10.12.2017
klimaretter.info-Dossier: E-Mobilität – Verkehr unter Strom
Martin Unfried ist Dozent am Europäischen Institut für Öffentliche Verwaltung im niederländischen Maastricht und Autor mehrerer Kolumnen, darunter der "Ökosex"-Kolumne auf den Blogseiten der taz. Seit zwei Jahren ist er auch an der Universität Maastricht am Institut für grenzüberschreitende Zusammenarbeit und Mobilität ITEM tätig.
10.12.2017 | Sonntag | Kommentar | www.klimaretter.info | Meinungen - Ein Standpunkt von Martin Unfried | Selbstbetrug Verkehrswende? | In die Kritik an der E-Mobilität stimmen derzeit auch Verfechter einer ökologischen Verkehrswende ein. Bei sauberen E-Autos aber von einer "Lüge" zu reden, geht zu weit – und verhindert bisher, dass in Deutschland ein politischer Durchbruch für ein festes Ende des Verbrennungsmotors zustande kommt. | Bio: de.wikipedia.org/wiki/Martin_Unfried
Artikellinks:
www.klimaretter.info/mobilitaet/hintergrund/23704-das-elektroauto-bringt-nicht-die-wende
www.klimaretter.info/dossiers/e-mobil/399-dossier-emobil-hintergrund/23546-der-kobold-im-elektroauto
www.klimaretter.info/meinungen/standpunkte/22070-das-ende-des-verbrennungsmotors
www.klimaretter.info/thema/vw-skandal
www.eipa.eu/speaker/martin-unfried/
www.maastrichtuniversity.nl/news/ontgrenzer-martin-unfried-employed-item
www.klimaretter.info/dossiers/e-mobil
Links zum Artikel:
www.klimaretter.info/meinungen/standpunkte/24029-selbstbetrug-verkehrswende
oekotainment.eu/archiv/html/selbstbetrug-verkehrswende/
Die vollständige Sammlung aller Beiträge von Martin Unfried finden Sie unter:
www.oekotainment.eu/archiv/pdf | www.oekotainment.eu/archiv/videos
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