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FUTURZWEI

 

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13.12.2022 | Dienstag | FUTURZWEI Nr. 23 | Politik

Die Ente des Kapitalismus

Grünes Wachstum oder Schrumpfen der Wirtschaftsleistung – und wenn ja, wie genau? Solange beide Lager ihren blinden Fleck ignorieren, ist es schwierig, über die wirtschaftlichen Voraussetzungen einer 1,5-Grad-Politik zu diskutieren.

Ein Wirtschaftsmodell ohne fossile Brennstoffe, mit geschlossenen Materialkreisläufen und Erhaltung der Biodiversität, das ist die zentrale Transformation, die jetzt passieren muss, global und in der EU. Aber wie soll das gehen im Kapitalismus, in der sozialen Marktwirtschaft mit oder ohne Wachstum? Das Interesse, ich will nicht sagen, Überlebensinteresse der Leute an diesen Fragen ist groß, das zeigt die Aufmerksamkeit, die neue Bücher von Achim Wambach, Jason Hickel, Ulrike Herrmann, Niko Paech und Maja Göpel erfahren. Die Analysen, warum die bisherige Politik nicht ausreicht, sind dabei meistens stichhaltig und beziehen sich auf die großen Herausforderungen des Pariser Abkommens. Für die EU bedeutet das Klimaneutralität bis 2050. In Deutschland handelt es sich laut Koalitionsvertrag von SPD, Grünen und FDP um das Ziel, »Deutschland auf den 1,5-Grad-Pfad zu bringen«. Es geht also nicht um radikale Utopien und Visionen, sondern um die praktische Frage der Umsetzung offizieller Ziele auf allen Ebenen.

Deshalb wäre es sehr hilfreich, von Ökonomen zu hören, wie 1,5-Grad-Wirtschaftspolitik konkret aussehen könnte. Und zwar von beiden Schulen: von denen, die dafür grünes Wachstum voranbringen wollen (Wind statt Kohle, Elektro- statt Dieselauto), und von jenen, die weniger Wachstum propagieren, weniger Autos, weniger Neubau, also Schrumpfung.

Achim Wambach schwört auf Preissignale durch Emissionshandel. Der Professor für Volkswirtschaftslehre an der Universität Mannheim hat es mit seinem Buch Klima muss sich lohnen in viele Medien geschafft. Das Buch bietet eine Fülle an Informationen, wie der Emissionshandel und andere europäische und nationale Instrumente funktionieren und besser wirken könnten, um grünes Wachstum zu stimulieren. Eher billig ist sein etwas abgenutzter Medientrick: Flugverzicht nach Barcelona? Hilft dem Klima überhaupt nicht. Photovoltaikanlage zu Hause: kein Gewinn fürs Klima! Wambach argumentiert, dass es im europäischen Emissionshandel einen Wasserbetteffekt gäbe. Das bedeutet: Wenn ich Ökostrom produziere, verringere ich damit nicht die Zahl der Zertifikate, sondern diese werden in der EU dann beispielsweise in einem Kohlekraftwerk verfeuert. Technisch stimmt das, da die Anzahl der Zertifikate und damit die Emissionen in der EU im Fall der Energieerzeugung festgelegt sind.

Mit diesem Argument haben in den letzten Jahrzehnten schon viele Volkswirte (und mit ihnen die FDP) und alle weiteren Interventionen des Staates für Klimaschutz als Blödsinn entlarven wollen, zuvorderst das Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG). Den Aufbau der Erneuerbaren hätte es aber ohne EEG nicht gegeben, da der Emissionshandel lange nicht funktionierte, um entsprechende preisliche Anreize zu bieten. Das ist auch in der Zukunft alles andere als gesichert. Und überhaupt gelingt die jährliche Absenkung der Emissionen nur mit dem einkalkulierten ehrgeizigen Ausbau der Erneuerbaren. Die sind eine unerlässliche Voraussetzung des Gelingens des Emissionshandels. Dennoch erklärt Wambach unbeeindruckt, für den Umstieg auf Elektroautos sei ein Verbrennerverbot wesentlich teurer als ein hoher CO2-Preis. Wenn sich Klimaschutz durch hohe Zertifikatpreise auch im Verkehr und Gebäudebereich lohne, dann würde der Markt es richten, brauche es keine Verbote, wie im Fall von Gas- und Ölheizungen. Das klappte bisher nur in der Theorie. In der politischen Wirklichkeit (siehe Deutschland) haben sich Regierungen und EU an entsprechend hohe Emissonspreise nicht herangewagt. Es ist nicht deutlich, wie der soziale Ausgleich strukturell verankert werden kann. Und Wachstum? Die Entkopplung von Wachstum und CO2-Emissionen hat laut Wambachs Zahlen in der EU bereits begonnen, grünes Wachstum führt also zu Klimaschutz.


Es ist höchste Zeit, dass die Vertreter des grünen Wachstums die Schwachstellen des eigenen Ansatzes offen benennen und mögliche Lösungen diskutieren.


Es ist frappant, mit welcher intellektuellen Leichtigkeit hier grundsätzliche Fragen der Transformation mit Blick auf Material und Ressourcenverbrauch, Ungleichheit und Wachstumszwänge komplett ausgeblendet werden. Es ist höchste Zeit, dass die Vertreter des grünen Wachstums die Schwachstellen des eigenen Ansatzes offen benennen und mögliche Lösungen diskutieren.

Ihre Grundannahme der Entkopplung von Wachstum und Emissionen, Natur- und Ressourcenverbrauch ist schließlich heftig umstritten. Empirisch zeigen viele Studien, dass es global nicht nach Entkopplung aussieht. So wäre wohl ein konstruktives Gespräch mit dem britischen Ökonomen Jason Hickel kaum möglich. Der gehört mit seinem aktuellen Buch Weniger ist mehr zur Degrowth-Schule und leider ebenso zu den Vereinfachern. Klimaschutz gehe nur mit weniger Material- und Energiefluss im Einklang mit den planetarischen Grenzen. Entkopplung sei im weltweiten Maßstab weit und breit nicht in Sicht. Hickel beschreibt (wie bereits vor Jahren Tim Jackson) eine Wirtschaft im Übergang, die kein Wachstum mehr brauche, ohne negativen Einfluss auf das menschliche Wohlergehen. Die konkreten Schritte: Obsoleszenz beenden, also die geplante Kurzlebigkeit von Produkten, damit Produkte länger leben. Werbung zurückfahren, damit der Konsumwahn abnimmt. Teilen statt besitzen, zur Schonung von Ressourcen. Lebensmittelverschwendung beenden, ökologisch schädliche Industrien herunterfahren.

Nicht wirklich orginell und umfassend. Alles bekannt aus dem Werkzeugkasten der Degrowth-Ökonomen. Was allerdings nicht vertiefend analysiert wird, sind die unmittelbaren Effekte auf den Staatshaushalt und die Finanzierung von staatlichen Leistungen wie Renten, Sozialleistungen, Unterricht, Forschung und Infrastruktur. Da wird bei den Degrowth-Leuten sehr einfach gestrickt: Gegen steigende Arbeitslosigkeit hilft Arbeitszeitverkürzung. Und zur Finanzierung von anständigen Löhnen und staatlichen Leistungen gäbe es ja die Umverteilung. Eine wichtige Frage wird komplett ausgeblendet: Wie soll ein potenziell schrumpfendes System auf einem bestimmten Niveau stabilisiert werden können, damit es nicht immer weiter schrumpft?

In dieser Frage würde Hickel sich heftig mit der taz-Journalistin Ulrike Herrmann streiten, die ebenfalls davon ausgeht, dass es ein grünes Wachstum nicht geben kann. Allerdings auch nicht den stabilen Degrowth-Zustand. Damit zertrümmert sie die Mythen der beiden Lager. Herrmann basiert ihre Hauptaussage in ihrem Bestseller Das Ende des Kapitalismus auf der Arbeit des Schweizer Ökonomen Mathias Binswanger (Der Wachstumszwang, 2019). Der stellt nüchtern fest, dass Wachstum von Krediten abhängig sei und diese nur zurückgezahlt werden könnten, wenn es weiteres Wachstum gebe. Im Kapitalismus gebe es kein stabiles Nicht-Wachsen. Wenn ein Unternehmen nicht wachse, bestehe immer die Gefahr des Absturzes. Genauso argumentiert Herrmann gegen den Postwachstums-Traum. Sobald die Einkommen fielen, fresse sich die Krise unkontrolliert durch sämtliche Branchen.

Auf dieses Problem hat auch Niko Paech keine Antwort. So brilliant seine Analysen der Wachstumswidersprüche sind (im jüngsten Buch mit Katja Gentinetta: Wachstum?), so einfach sind seine konkreten Vorstellungen einer schrumpfenden Wirtschaft: weniger globale und technisierte Wertschöpfungsprozesse, weniger Kapitaleinsatz und weniger Produktivität durch »regionalwirtschaftliche« und »arbeitsintensivere« Wirtschaftsformen. Wie dieses genaue Gegenteil heutiger wirtschaftspolitischer Rezepte stabiles Wirtschaften möglich machen soll, wird nicht konkret beschrieben. Da hilft auch nicht das konsumkritische Mantra, immer mehr mache sowieso nicht glücklich.

Wie könnte denn konkret die europäische Wettbewerbspolitik, der Binnenmarkt, die Handelspolitik et cetera im Sinne einer solchen Postwachstumsökonomie erfolgreich oder zumindest erträglich umgebaut werden? Und wie hält man während des Übergangs den Laden zusammen, wie gewinnen Parteien dafür politische Mehrheiten? Ulrike Herrmann hat mit ihrer umfassenden Kritik an der Zunft der Ökonomen recht: Es gibt bisher keine ausgearbeitete Makroökonomie für eine Postwachstumsgesellschaft. Und Gleiches gilt sicher für eine Strategie des grünen Wachstums, die planetarische Grenzen ernst nimmt. Leider ist Herrmanns eigene Schlussfolgerung, es brauche für konsequenten Klimaschutz eine Art Kriegswirtschaft wie in Großbritannien zu Zeiten des Zweiten Weltkrieges, zwar orginell, aber eine Art wirtschaftspolitische Kapitulation. Der Staat müsse vorgeben, was und wie viel produziert werde (Erneuerbare Energien, Wärmepumpen et cetera) und welche Produktion eingestellt wird (etwa Autos). Warum allerdings dieses verordnete Schrumpfen bisher wichtiger Wirtschaftsbereiche nicht ins gesellschaftliche Chaos führen wird oder in die heftige Verschuldung (wie damals im Fall der Briten), bleibt unklar. Ebenso, warum das alles das Ende des Kapitalismus sein soll, wie der Titel zu unrecht behauptet. Herrmanns Klimakriegswirtschaft soll schließlich explizit kein Ökosozialismus sein. Im Grunde wäre es eher eine Art gelenkte Marktwirtschaft nach chinesischem Modell, wo der diktatorisch agierende Staat sehr direkt das Schrumpfen und Wachsen verschiedener Sektoren vorgibt. Damit wäre aber der Wachstumszwang eben nicht überwunden, insbesondere wenn der globale Wettbewerb nicht komplett gekappt wird.

Wer sich der Komplexität dieser Transformation wirklich stellen will, der sollte das neue Buch von Maja Göpel lesen: Wir können auch anders. Die Politökonomin und Transformationsforscherin untersucht die Anschlussfähigkeit verschiedener Teilsysteme an die notwendige Klima-Transformation. Auch sie empfiehlt, dass wir besser wissen sollten, warum unser heutiges Wirtschaftssystem nicht hält, was es verspricht. Und, möchte man hinzufügen: in welche Richtung tatsächlich umgebaut werden sollte.

Wenn man die Diskussionslage zum Umbau der Wirtschaft bewerten will, dann sind die Wachstumskritiker bis heute überraschend unpolitisch. Sie machen sich nicht einmal die Mühe zu erklären, wie ihr Schrumpfmodell im Mehrebenensystem zwischen UN, EU, Mitgliedstaaten, Regionen und Kommunen funktionieren soll und wie dafür gesellschaftliche und politische Mehrheiten entstehen könnten. In diesem Sinne haben die Vertreter des grünen Wachstums (trotz ihres blinden Flecks der ausbleibenden Entkopplung) einen Punkt: Sie machen zumindest Vorschläge im Rahmen der Realitäten der heutigen Marktwirtschaft und laufender demokratischer Prozesse, inklusive der Frage nach der Anschlussfähigkeit. Es ist zwingend nötig, dass sich die Degrowth-Vertreter die Mühe machen, ihre Vorstellung von Wirtschaft ebenso daran zu messen.■

 

MARTIN UNFRIED ist EU-Klimapolitikexperte und Politologe an der Universität Maastricht.


Foto: Kora27, Eiche beim Bernsdorf, Landkreis Zwickau 2H1A6350WI, Zuschnitt, CC BY-SA 4.0

13.12.2022 | Dienstag | FUTURZWEI Nr. 23 | Seite 53 | taz.futurzwei.org | Magazin für Politik und Zukunft | Schwerpunkt: Die Zukunft von gestern | Politik | Die Ente des Kapitalismus | Grünes Wachstum oder Schrumpfen der Wirtschaftsleistung – und wenn ja, wie genau? Solange beide Lager ihren blinden Fleck ignorieren, ist es schwierig, über die wirtschaftlichen Voraussetzungen einer 1,5-Grad-Politik zu diskutieren. | Schlagwörter: Kapitalismus, Grünes Wachstum, Schrumpfen, Wirtschaftsleistung, blinder Fleck, 1,5-Grad-Politik | Bio: https://de.wikipedia.org/wiki/Martin_Unfried

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