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08.03.2016 | Dienstag | Klimakultur | zeozwei | Das Umweltmagazin: Magazin für Klima. Kultur. Köpfe.
Der Berliner Volksentscheid Fahrrad sollte auf hundert Städte übertragen werden
Deutschland ist ein Land, in dem eine Autobahnausfahrt trotz immenser Kosten niemals im Nirwana enden würde. Aber das Geld für eine ebenso professionelle Klimaschutz-Radinfrastruktur fehlt. Obwohl die Deutschen in den Städten gerne Rad fahren würden. Obwohl so viele Klima- und Gesundheitsexperten, ADFC, VCD und Criticalmass-Protagonisten seit Jahren für mehr Straßenraum und weniger Emissionen kämpfen.
Erfolglos. Der Klimaschutz verliert immer noch ständig gegen andere Interessen, weshalb sich nach der Pariser Klimakonferenz besonders im Verkehrsbereich die Frage nach Instrumenten und Strategien stellt, die das endlich ändern.
Ich habe in der letzten zeozwei mehr Konfrontation gefordert. Damit meine ich nicht unbedingt Demonstrationen und öffentlichen Protest, schon gar nicht noch mehr Unterschriftensammlungen im Netz. Die Frage ist: Welche Konfrontation bewirkt Ergebnisse?
Die Konfrontation vor Gericht, beispielsweise. Im Bereich der Luftreinhaltung bieten sich bei Feinstaub, Stickoxiden und Testmanipulationen neue Chancen. Die Deutsche Umwelthilfe ist wieder stärker aktiv und kämpft für die Einhaltung von EU-Recht. Auch andere Verbände sollten mehr Juristen einstellen und öfter klagen. Im Klimaschutz ist das weniger erfolgversprechend, weil deutliche Klimaschutzgesetze fehlen. Bürger können eine klimafreundliche Infrastruktur nicht vor Gericht einklagen. Schlüssig finde ich darum eine Idee, die eine Gruppe von Berliner Verkehrswendefreunden lanciert hat: der Berliner »Volksentscheid Fahrrad«.
Statt jahrelang um jeden Radweg einzeln zu betteln, sollen die Bürger grundsätzlich entscheiden. Zur Abstimmung soll gestellt werden: 200 Kilometer zusätzliche Fahrradstraßen, 100 Kilometer Radschnellwege, mehr professionelles Radverkehr-Personal in der Verwaltung. Das beschreibt nicht nur die Aufgabe, wie das der ADFC und andere in der Vergangenheit bereits gemacht haben; es stellt die Fahrradstadt als politische Alternative zur Wahl.
Anders als im Bund sind Volksbegehren und Volksentscheide rechtlich auf Lokal- und Landesebene bereits möglich. Dies führte in den letzten Jahren zu einzelnen Initiativen im Bereich der Stromnetze und Wasserversorgung. Was es allerdings bisher nicht gab, war eine Vernetzung und bundesweite Ausstrahlung von regionalen Initiativen. Mein Vorschlag: Der Berliner »Volksentscheid Fahrrad« sollte morgen auf hundert weitere Städte in Deutschland übertragen werden. Dazu braucht es andere lokale Initiativen und auch ein nationales Koordinierungsbüro für Klimaschutz-Volksentscheide. Finanziert von einem Umweltverband. Dieses Büro unterstützt die ehrenamtlichen Aktiven vor Ort bei der Ausarbeitung der eigenen Forderungen, beim rechtlichen Verfahren und der Unterschriftenkampagne und durch eine nationale Kommunikationskampagne.
Konzertierte Volksentscheide könnten mit dieser Struktur auch für den Kohleausstieg eine Rolle spielen. Dazu braucht es zunächst Klarheit darüber, ob die Verfahren für Landesvolksentscheide immer noch so schwierig zu initiieren sind. Laut des Vereins »Mehr Demokratie« gab es 2015 einige positive Entwicklungen.
Ob und wo es wirklich Chancen gibt? Auch das sollte ein nationales Koordinierungsbüro untersuchen. Nicht nur im Fall der Kohle ist der Druck von außen essenziell: Durch die Verflechtungen von Mandatsträgern, Kommunen und Unternehmen ist von Parlamenten in einigen Bereichen wenig zu erwarten. Darum könnten auch Volksentscheide zu Landwirtschaft, Gebäuden, Baurecht oder Raumplanung helfen.
Allerdings muss man eines akzeptieren: Wer »direkte Demokratie« sagt, muss auch verlieren können. 2013 scheiterte ein Volksentscheid in Berlin mit dem Versuch, Stromnetze von Vattenfall zu übernehmen. Auch in Stuttgart verloren die Gegner des Bahnhofsund Immobilienprojekts Stuttgart 21 die Volksabstimmung. In Brandenburg gibt es derzeit sogar ein Volksbegehren zum Stopp des Windkraftausbaus. Das ist Demokratie, auch in Zeiten des Klimawandels.
MARTIN UNFRIED ist Experte für europäische Umweltpolitik in Maastricht und Erfinder von Ökosex.
08.03.2016 | Dienstag | zeozwei 2/2016 | www.zeozwei.de | Das Umweltmagazin: Magazin für Klima. Kultur. Köpfe. | Titelthema: So sieht Widerstand aus| ANDERS DENKEN: Brauchen wir mehr Volksentscheide ... MARTIN UNFRIED? | Der Berliner Volksentscheid Fahrrad sollte auf hundert Städte übertragen werden
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