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13.09.2016 | Dienstag | Kommentar | zeozwei | Das Umweltmagazin: Magazin für Klima. Kultur. Köpfe.
Sozialökologisch engagierte Bürger müssen sich viel mehr um die Parteien kümmern.
Der niederländische Umweltverband »Natuur & Milieu« hat gerade eine Studie vorgestellt, die zeigt, wie der Übergang zur CO2-freien Wirtschaft national bis ins Jahr 2035 gelingen könnte. Im Moment basieren noch 94 Prozent des Energieverbrauchs der Niederlande auf fossilen Brennstoffen. Das bestätigt, dass die Klimapolitik der letzten zwanzig Jahre gescheitert ist. Laut neuestem, hoffnungsvollem Szenario des Umweltverbandes wären im Jahr 2035 nur noch 45 Prozent der Energie fossil. In zwanzig Jahren müssten dazu allerdings 95 Prozent des Stroms in den Niederlanden erneuerbar produziert werden. Heute sind es zehn Prozent.
Selbstverständlich ist das nicht die erste Blaupause eines tollen Umbruchs. Jetzt kennen die Niederländer also mal wieder die genaue Anzahl Offshore-Windräder, die 2035 nötig wären. Jedoch steht in dem Papier nicht, wie man 2016 zur Abwechslung mal politische Mehrheiten gegen Kohle, Öl und Erdgas organisiert. Was völlig fehlt, ist auch eine selbstkritische Analyse der Umweltverbände: Warum haben wir so wenig erreicht – trotz guter Startvoraussetzungen?
Wie soll plötzlich etwas gelingen, was fünfundzwanzig Jahre lang in den Niederlanden politisch so erfolgreich verhindert wurde, wenn wir die politische Blockade ignorieren? Genau diese Frage stellt sich auch in Deutschland, gerade weil wir politisch mit Wirtschaftsminister Sigmar Gabriels Erneuerbare-Brems-Gesetz – das erstmals den Ausbau nicht nur gezielt deckelt, sondern den Einbruch bewusst einkalkuliert, die größte anzunehmende Niederlage erleben. Diese Analyse des Scheiterns soll nicht kulturpessimistisch der Selbstkasteiung oder Schuldzuweisung dienen. Sie kann sich auch nicht damit begnügen, zum wiederholten Male über die fiese Macht der Kohle- oder Autoindustrie zu lamentieren. Sie soll nach vorn gerichtet sein: Was lernen wir aus der EEG-Niederlage?
Wir lernen, dass es so etwas wie ein Energiewendeparadox gibt: Trotz Klimaschutzrhetorik hat sich in den Parteien im Bundestag etwas Wesentliches verschoben. Darauf hat mich Josef Göppel gebracht, der frühere energiepolitische Sprecher der CSU. Göppel hat bedauernd darauf hingewiesen, dass inzwischen alle wichtigen Leute wie die energiepolitischen Sprecher der Regierungsparteien entweder gestandene Atomfreunde seien, wie Joachim Pfeiffer von der CDU und Karl Holmeier von der CSU. Oder Kohlebefürworter, wie auch der energiepolitische Sprecher der SPD, der Gewerkschafter Bernd Westphal, und der Fraktionsvize und Anti-Erneuerbaren-Hardliner Michael Fuchs (CDU). Das war vor Jahren anders. Da hatten die Freunde der Erneuerbaren um Hermann Scheer (SPD), Hans-Josef Fell (Grüne) und Göppel sehr wohl Einfluss in den Fraktionen.
Paradoxerweise hat also die Energiewende in allen Regierungsparteien – CDU, CSU und SPD – an Einfluss verloren. Die offiziellen Energiewendebeschlüsse haben die Erneuerbaren in den Parteien nicht gestärkt, sondern geschwächt. Wenn Gegner der Energiewende die Energiewende machen sollen, dann kann das nicht gelingen. Das kann nur heißen, dass sozialökologisch engagierte Bürger sich viel mehr um die Parteien und insbesondere um die SPD kümmern müssen.
Aber wie? Massenhaft in die SPD eintreten? Öfter mal beim CDU-Ortsverband vorbeischauen? Sich für die Parteien einsetzen, die gegen die EEG-Reform gestimmt haben? Ja, warum nicht. In jedem Fall müssen von außen die Parlamentarier gestärkt werden, die sich nicht freuen, wenn 2017 Windkraft und Sonnenenergie weit unter den Ausbauzahlen der letzten Jahre bleiben. „Naming and shaming“ heißt, dass die Wähler im Wahlkreis wissen, wer gegen die Erneuerbaren steht.
Erst wenn diese vermeintliche Kleinigkeit bei der Wiederwahl im Wahlkreis schadet, beispielsweise mit Blick auf Direktmandate, werden Kohle- und Atomfreunde weniger werden. Dazu müssen Energiegenossenschaften auf lokaler Ebene deutlich machen, wer gegen die Interessen von Bürgerinvestitionen gestimmt hat. Das ist alles unglaublich banal und unspektakulär, doch erinnert es uns an einen wesentlichen Grund für Anti-Klimaschutz-Entscheidungen: parlamentarische Mehrheiten.
MARTIN UNFRIED ist Experte für europäische Umweltpolitik in Maastricht und Erfinder von Ökosex.
13.09.2016 | Dienstag | zeozwei 4/2016 | www.zeozwei.de | Das Umweltmagazin: Magazin für Klima. Kultur. Köpfe. | Titelthema: ENTSCHLEUNIGUNG IST AUCH KEINE LÖSUNG | ANDERS DENKEN: WAS LERNEN WIR AUS DER EEG-NIEDERLAGE MARTIN UNFRIED? | Sozialökologisch engagierte Bürger müssen sich viel mehr um die Parteien kümmern.
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