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22.03.2011 | Dienstag | Meinung und Diskussion | taz
ENERGIEWENDE Der Ausbau erneuerbarer Energien ließe sich beschleunigen: mit neuen Gesetzen, finanziellen Anreizen und Mobilisierungskampagnen
Vergangene Woche kam es im Bundestag zu heiteren Szenen, als Unionspolitiker SPD und Grünen vorwarfen, beim Ausbau der erneuerbaren Energien versagt zu haben. Das ist grotesk. Doch statt zu feixen, sollte die Opposition diese neuen Freunde einer Energiewende lieber in die Pflicht nehmen: mit einem konkreten Gesetzgebungspaket.
Schade, dass Hermann Scheer nicht mehr lebt: Er hätte in dieser Situation sicher schon ein radikales Papier zum Atomausstieg präsentiert. Ohne ihn stellte die SPD am Donnerstag ein etwas bescheideneres Sofortprogramm vor, das noch nicht ohne Kohleneubau auskommt. Und auch die Grünen und die Umweltverbände haben Konzepte in der Schublade (ohne Kohleneubau).
Doch die Zeit drängt. Denn schon werden die ersten Zahlen ins Spiel gebracht, was der Atomausstieg kosten würde: "Turboausstieg kostet 230 Milliarden!", titelte etwa Spiegel Online. "Und bringt wie viel, für wen?", möchte man fragen. Entscheidend ist nämlich, wer wo investiert, welche Wertschöpfung und Arbeitsplätze entstehen und welche versteckten Kosten vermieden werden. Die abstrakte Investitionssumme sagt erst mal gar nichts. Es geht eben nicht - wie bisher - nur um betriebswirtschaftliche Überlegungen der Konzerne und um den abstrakten Kilowattstundenpreis ab Kraftwerk und Strombörse. Es geht eher darum, welche neuen Akteure das Geschäft übernehmen.
Chancen des Atomausstiegs
Tatsächlich könnte der Atomausstieg zu einem Glücksfall der Regionalentwicklung werden und der Rückeroberung demokratischer Spielräume dienen. Stichwörter sind Rekommunalisierung, neue Stadtwerke und Aufbau innovativer Bürgerunternehmen. Das alles fällt nicht vom Himmel. Es muss durch massive Förderprogramme zum Auf- und Ausbau regionaler Energieagenturen in allen deutschen Land- und Stadtkreisen politisch unterstützt werden. Wir brauchen flächendeckend regionale Masterpläne und die planerische Freiheit, diese auch umzusetzen - und dafür neue Gesetze.
Höchste Priorität hat deshalb die Novellierung von Planungsgesetzen: Genehmigungsverfahren im Baugesetzbuch und im Raumordnungsrecht müssen angepasst werden, also auch in verschiedenen Landesgesetzen zur Raum- und Regionalplanung. Mit restriktiven Gesetzen wurde der Ausbau der Windenergie in Hessen, Bayern und Baden-Württemberg verhindert. Aber auch der Verteidigungsminister blockiert mit Radarvorschriften.
Als nationales Leuchtturmprojekt sollte Hermann Scheers Vorschlag der "Energieallee A 7" aufgegriffen werden. Das heißt, die Bundesregierung und die betreffenden Bundesländer sollten die Nord-Süd-Autobahn A 7 als fast 1.000 Kilometer Allee der erneuerbaren Energien mit dezentral geplanten und finanzierten Wind-, Solar- und Biomasse-Kraftwerken mit dezentraler Netzeinbindung ausweisen.
Vorrang für die Erneuerbaren
Beim nächsten Update des Erneuerbaren-Energien-Gesetzes (EEG) sollte deren Vorrang nicht nur verteidigt, sondern ausgebaut werden. Nötig ist auch, dass die Preise wieder verlässlich sinken, um auch im Fall der Fotovoltaik langfristige Projektplanung zu ermöglichen. Wind-Onshore sollte vielleicht durch eine leichte Erhöhung sogar wieder angeschoben werden. Viele Experten sagen, dass sich die Anreize für Netzdienstleistungen und Netzintegration verbessern müssen. Notwendig ist aber auch, die Berechnung der EEG-Umlage so zu verändern, dass die preisdämpfenden Effekte der Erneuerbaren deutlich werden. Sonst bleiben sie als angebliche Preistreiber in der Kommunikationsfalle. Auch braucht es weniger Ausnahmeregeln für stromintensive Betriebe - sonst zahlen weiter nur die privaten Haushalte und kleinere Unternehmen.
Der Energiewissenschaftler Joachim Nitsch hat angemerkt, dass es überdies dringend einer neuen Gasstrategie bedarf, um den Kohleneubau zu verhindern. Diverse Gaskraftwerke würden dann für den Übergang die flexible Regelenergie liefern, die beim heftigen Ausbau der Erneuerbaren gebraucht wird. Wünschenswert wäre natürlich auch ein Klimaschutzgesetz, das den Bau neuer Kohlekraftwerke ohne CO2-Abscheidung untersagt.
Da die Kraft-Wärme-Kopplung völlig stagniert, muss deren Förderung gestärkt werden. Es könnte auch eine KWK-Verpflichtung der Industrie für Prozesswärme eingeführt und ein echter Schwerpunkt gelegt werden auf die Verbreitung von Mikro-KWK in Wohngebäuden - Stichwort: virtuelles Kraftwerk. Viel ist von Stromspeichersystemen die Rede, doch um diese zu finanzieren, muss das Energiewirtschaftsgesetz geändert werden. Es geht um die Anerkennung der Investitionen in den Stromnetzgebühren. Dabei müssen, wie der Grüne Hans-Josef Fell meint, dezentrale Stromspeicher, verbunden mit virtuellen Kraftwerken, so gefördert werden wie die Erschließung großer internationaler Speicher in Skandinavien oder den Alpen.
Welche Gesetze überarbeiten?
Beim Thema Trassenbau steht eine Überarbeitung des Energieleitungsausbaugesetzes an. Ziel ist, den Ausbau auf Hochspannungs- wie Verteilnetzebene (auch mit Erdkabeln) zu beschleunigen und die Bürgerbeteiligung zu verbessern. Bleibt das spröde Thema Stromsparen: Dazu bräuchte es ein echtes Effizienzgesetz mit konkreten Vorgaben für Stromlieferanten, die bei ihren Kunden verbindliche Einsparziele erreichen müssen. Auch sollten Industriebetriebe zu einem aktiven Energieaudit und der Erschließung ihrer ungeheuren Einsparpotenziale verpflichtet werden.
Nicht zu vergessen unsere Privathaushalte: Deren Sparpotenziale sind noch nicht mal angekratzt. Es gibt Vorschläge, einen Energiesparfonds mit beispielsweise 500 Millionen Euro und groß anlegte Förderprogramme einzurichten. Da die Menschen dafür im Moment recht empfänglich sind, wären Sofortmaßnahmen sinnvoll: etwa attraktive finanzielle Anreize, die zum Austausch von Heizungspumpen, Kühlgeräten und alten Elektroherden anregen. Das wäre mal eine Abwrackprämie, die tatsächlich nützt.
Bleibt am Ende festzustellen, dass der Wettbewerb der Ideen in Sachen Energiewende eröffnet ist. Setzen wir auf Schwarmintelligenz: Wer Vorschläge hat, der melde sich!
MARTIN UNFRIED
Der Atomausstieg kann zu einem Glücksfall der Regionalentwicklung werden und demokratische Spielräume zurückerobern
22.03.2011 | Dienstag | taz Nr. 9451 | Seite 13 | 181 Zeilen | Meinung und Diskussion | taz-Debatte VON MARTIN UNFRIED
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