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Klimabilanz der taz

12.11.2015 | Donnerstag | taz Shop Katalog 2015-16 | PETER UNFRIED

Marco und der A++

Die Tücken der konsumistischen Emanzipation

 

Als unser hochverehrter A++ plötzlich das Kühlen einstellte, riefen wir einen Handwerker. Er möge das Teil abholen und reparieren. Der gute Mann kam relativ zeitnah und stellte sich als Marco vor. Er sah sich die Rückseite von A++ zehn Sekunden an, seufzte und erklärte, er könne das reparieren, aber das lohne sich nicht, weil wir für fast das gleiche Geld einen neuen bekommen würden. Den könne er übrigens noch am gleichen Tag vorbeibringen, sagte er. Die Reparatur dagegen könne vier Tage dauern. Es war Sommer, es war heiß, wir wussten nicht, wohin mit unseren Lebensmitteln. Was wir aber wussten: Wir wollten weiter mit unserem Kumpel A++ zusammenarbeiten. Marco verstand das überhaupt nicht.

Das sind so  Momente, wo man sich zwangsläufig die Frage stellt, ob man nicht bescheuert ist, etwas „Gebrauchtes“ zu bewahren, wenn man etwas „Neues" billiger und sofort kriegt. Auch wenn wir völlig anders sprechen und denken: Beim realen Handeln auf neu und billig und bequem zu stehen, ist die praktizierte Kultur unserer Gesellschaft, die in fast jedem von uns steckt. Das beste Beispiel: Amazon verdammen kann jeder. Amazon boykottieren schaffen nur wenige.

Die Kultur steht im Weg, wir stehen uns im Weg. Es ist wirklich nicht einfach, sich konsumistisch zu emanzipieren – also tatsächlich möglichst oft Dinge zu erwerben, die Zukunft in sich tragen, weil sie zur langfristigen Benutzung gemacht sind und nicht zum Wegschmeißen. Und diese dann viele Jahre zu bewahren. Aber wenn man es angefangen hat, dann kommt es gut. Dann kriegt „Luxus“ eine andere Bedeutung, wird Wärmedämmung eine kulturelle Errungenschaft, und etwas Schöneres als den Blick auf einen Hügel voller Windräder im Abendrot findet man nicht mehr.

Man darf einen sozial-ökologisch orientierten Lebens- und Konsumstil nicht überschätzen. Müll braucht Ordnungs- und Wirtschaftspolitik. Welthandel braucht faire Regeln. Energiewende und Mobilitätswende brauchen einen politischen Rahmen. Nur darf man gelebte Klimakultur eben auch nicht unterschätzen, denn ohne individuelle Dynamik, die sich zu einer gesellschaftlichen zusammenkoppelt, wird es diese sozial-ökologische Politik nicht geben.

Klimakultur ist Selbstermächtigung. Man beginnt die reale Veränderung dort, wo man die Macht hat, sie beginnen zu lassen: bei sich selbst. Das bedeutet nicht, dass man perfekt sein muss. Lebbare Modelle der Klimakultur sind Modelle der provisorischen Moral. Man kauft nicht immer das Teure und Nachhaltige, man fliegt nicht „nie mehr“, aber man überarbeitet seine Konsumkultur so, dass man die entscheidenden drei Bereiche deutlich verbessert (Energie, Fleisch, Mobilität).

Nach einer Woche kühlschrankfreien Lebens in der Sommerhitze tätigten wir diverse Anrufe bei Marco, in denen er uns stets sagte, die Reparatur sei abgeschlossen und er praktisch schon auf dem Weg zu uns. Nach zehn Tagen kam er tatsächlich und stellte A++ an seinen alten Platz. Er ging dann wieder. Unser Kühlschrank leider nicht.

Es hat keiner gesagt, dass es leicht wird.

VON PETER UNFRIED

Chefreporter der taz und Chefredakteur des taz-Magazins zeozwei für Klimapolitik und Klimakultur.

12.11.2015 | Donnerstag | taz Shop Katalog 2015-16 | Seite 22 | Marco und der A++ | Die Tücken der konsumistischen Emanzipation

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