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18.02.1995 | Samstag | Ökosex 1.0 | taz Reise
Was eine Busreise nach Madrid mit der Klimakatastrophe zu tun hat
"Attention please, passengers to Frankfurt...!" Noch einmal strich ich Müller zum Abschied zärtlich durch die prachtvollen blonden Locken. "Hör zu", flehte ich ihn an, "tu das nie, nie wieder! Versprich es mir!"
Müller: "Ich kann nicht."
"Du mußt aber! Denk an Rio, denk an Berlin, denk an 25 Prozent bis 2005!"
Müller: "Und?"
"Um Himmels willen, keine innereuropäischen Flüge mehr!"
Müller: "Aber die Maschine fliegt doch auch ohne mich?!"
Dieses Blödmannsargument hing mir zum Hals raus. Also winkten wir. Ich resigniert ab, Müller dagegen fröhlich mit der boarding card, als er routiniert im Duty-free- Schnäppchenbereich verschwand. Angewidert verließ ich den Ort infamer Klimaschändung und fuhr mit dem Stadtbus zurück ins Barrio de Berugette im Norden Madrids, wo ich bei Maria Ferien machte. Später, als Müllers Maschine längst durch die Stratosphäre emittierte, stand ich mit ihr im "La Pampa" knöcheltief in Servietten und Olivenkernen und nuckelte an einer Caña.
"Weißt du, Maria", begann ich meine Reflexionen, "Ökospießer müssen leiden! Hat Müller gesagt, als ich davon sprach, dieses Mal nicht zu fliegen. Stimmt aber gar nicht! Dieser Autobus ist eine feine Sache."
Maria schaute mich spanisch an: "Feine Sache? Jeder weiß, daß der Bus eine Katastrophe ist."
"Nein, nein, nein", schrie ich auf, verschluckte eilig einen Olivenkern, holte tief Luft und begann zu sprechen von meinen 27 Stunden bis Madrid:
Stuttgart war naß, und hinterm Hauptbahnhof zog es, und natürlich gab es da keine Anzeigetafel oder so etwas. Niemand wußte genau, wo und ob der Bus auch tatsächlich wegfahren würde - das schweißt ungemein zusammen. Eine vorlaute Studentin von der Ostalb vertraute mir an, alle Flüge nach Valencia seien ausgebucht. Deshalb müsse sie mit diesem "Scheißbus" fahren. Pointiert fügte sie hinzu: "Preislich ja fürn Arsch!" Ich widersprach energisch. Immerhin hatte ich für meine Rückfahrkarte nur 366 Mark bezahlt (Touring, Europabus) und gegenüber dem billigsten Flug also 14 Mark gespart.
Später im Bus setzte mich der Zufall neben diese kleine, dunkelhaarige Französin. Die war nett! Um gleich das Eis zu brechen, erzählte ich ihr, daß so ein Autobus ja CO2-mäßig genauso gut sei wie die Bahn. "In dieser Hinsicht brauchst du dir null Sorgen machen", versuchte ich zu beruhigen. Sie war sichtlich erleichtert. Apropos Französin. Ich hatte mir gerade zu ihrer Erbauung ein längeres Referat über Flugreisen und Treibhauseffekt zurechtgelegt, als sie von einem der Busfahrer aus auf spanisch vorgetragenen Gründen umgesetzt wurde. Das war schade, aber auch irgendwie aufregend. Wie in einer anderen Welt! Die Busfahrer sprechen nämlich kein Deutsch, kein Englisch und nix. Nicht dieses idiotische "Hello, this is the captain speaking". Ich befand mich mithin schon kurz nach Baden-Baden auf iberischem Terrain. Schnell legten die Herren einen Videofilm ein, in dem so laut und so spanisch gesprochen wurde, daß man sich das Lesen sparen konnte. Aus der nun einsetzenden Heiterkeit der Mitreisenden mußte geschlossen werden, daß es sich um eine Komödie handelte. Erfreulicherweise wurde auch ich irgendwann noch einmal umgesetzt und durfte bis Barcelona neben einer echten Señora sitzen. Diese etwas kräftigere Dame trug eine schwarze Tasche auf den Schenkeln, die etwas Wertvolles enthalten mußte: Nicht eine Sekunde nahm die Taschenhüterin nämlich ihre Hand vom Henkel, nicht einmal, als sie selig neben mir eingeschlafen war. Meine Güte, gibt es etwas Romantischeres, als mit einer schlafenden Frau an der Seite durch das nächtliche Frankreich zu fahren, während draußen der Regen prasselt? Ich schaute mich um. Der Bus war proppevoll. Mir fiel ein Stein vom Herzen, dadurch nämlich sank mein persönlicher Verbrauch an fossilen Energieträgern weit unter einen Liter pro 100 Kilometer. Unglaublich, aber auf diese Weise sollte es mir möglich sein, mit weniger als 20 Litern Diesel nach Madrid zu gelangen und ...
Maria zupfte mich an meinem Pulli und machte mir klar, daß ein Baraufenthalt in Madrid nicht so lange dauert wie eine Busreise. "Cambiamos", sprach sie, also fuhren wir mit der Metro Eins von Estrecho nach Bilbão, stiegen um in die Vier bis Alonso Martinez und marschierten in die Calle de Argensola. In diesen Tagen ist in Madrid das "Lisboa" ziemlich angesagt, vielleicht weil es da außer Drinks auch noch buntbemalte Lampen zu kaufen gibt. Allerdings ohne Energiesparbirnen, wie geschmacklos.
"Weißt du eigentlich", fuhr ich, kaum daß wir in der Bar einen Platz gefunden hatten, mit meiner Erzählung fort, "daß nur 30 Passagiere in jener geräumigen Linienmaschine saßen, in der Müller nach Madrid geflogen ist? Und weißt du eigentlich, daß ich im letzten Jahr selbst noch gesündigt habe?"
Genau das hatte ich auch im Bus der Frau mit der schwarzen Tasche gebeichtet, als ich am Morgen die Luft aus meinem hörnchenförmigen, samtenen Kissen ließ. Ihr gab ich mein Ehrenwort, eingedenk der nahenden Klimakonferenz in Berlin 1995 jegliche Flugbewegung zu unterlassen. Lob erntete ich dafür überraschenderweise nicht. Jene Señora hub an, im Angesicht einer herrlich über der Costa Brava aufgehenden Sonne von einer "Schinderei" zu reden, welche sie nie mehr mitmachen wolle, lamentierte über Mangel an Beinfreiheit, Überangebot an Schweißgeruch und "verschissene Raststätten" und lobte gar die Zügigkeit des europäischen Flugverkehrs. Just wollte ich die Verblendete daran erinnern, daß der ozeanische Inselstaat Nauru im Falle eines Meeresspiegelanstiegs möglicherweise absaufen würde, da waren wir auch schon in Barcelona und mußten nun leider getrennt nach unseren Anschlußbussen suchen.
Wieder hatte Maria längst bezahlt, und so verließen wir das "Lisboa" in Richtung Plaza de España. Der Verkehr hatte nun ein bißchen nachgelassen. "Also leben könnte ich ja nicht in deiner Stadt", sagte ich aufrichtig, "Radfahrer leben hier gefährlicher als die Stiere in der Arena von ,Las Ventas'." Maria sagte nichts, führte mich in die Calle Martin de los Heros und entschied, daß wir in eine Bar in der Nähe des Kinos "Renoir" gehen sollten.
"Das Schönste", schrie ich dort, denn diese Bar ist immer sehr gut besucht, "war ja die Landschaft in Aragón! Was für eine Bodenerosion: kein Baum, kein Strauch. So was sieht man ja beim Fliegen gar nicht. Wenn ich mir vorstelle, daß die Lüneburger Heide demnächst auch so aussehen wird!" Entschlossen schüttelte ich den Kopf: "Ich muß mit Müller sprechen und ihm sagen, daß gerade die letzten sechs Stündchen praktisch wie im Flug vergehen."
Nach nur fünf weiteren Pinkelpausen und kaum daß Whoopy Goldberg noch einmal über den Schirm scheppern konnte, war der große Augenblick da: Im dritten Stock der "Estación del Sur" öffneten sich die Bustüren, und ich küßte Madrider Boden, als meine Tasche in dem Gedränge unter den Bus gerutscht war.
"Und sag selbst, Maria, war ich nicht völlig entspannt und völlig erfrischt?"
"Völlig erfrischt?" fragte Maria und puffte mich, "soweit ich mich erinnern kann, hatte dein Deo versagt. An diesem ersten Abend hast du jedenfalls emissionstechnisch gesehen eine veritable Klimakatastrophe ausgelöst."
"Ach was?" entfuhr es mir. Jetzt wurde ich doch neugierig: "Hast du darum den Vielflieger bevorzugt? Wegen meines Umweltengagements?"
Maria grinste, nahm eine frische Serviette vom Tresen und warf sie zu dem Müll, der wie gewöhnlich vor der Bar am Boden lag.
"Heb die Serviette auf!" befahl sie. "Ökospießer müssen leiden!"
18.02.1995 | Samstag | taz Nr. 4549 | Seite 23 | 242 Zeilen | taz Reise | VON MARTIN UNFRIED
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