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Klimabilanz der taz

Mein zu 100 Prozent erneuerbares Leben

ES GIBT SO VIELE SCHNARCHITEKTEN: SIE INTERESSIEREN SICH NICHT FÜR DEN KLIMASCHUTZ

 

Nie mehr Zweite Liga! Beziehungsweise nie mehr fossile Brennstoffe in meinem Haus. Ich habe auf dem Tisch getanzt, als ich die Mail von meinem Ökostromunternehmen bekam. Ganz lapidar wurde mir mitgeteilt, ich könne von nun an von ihnen 100 Prozent Biogas beziehen. Lassen Sie sich das auf der Zunge zergehen!

Ich werde von jetzt an also meinen Restbedarf an Wärme nicht mit Erdgas aus Groningen, sondern mit aufbereitetem Biogas erzeugen, das für mich ins Gasnetz gepumpt wird. Damit bin ich raus aus der fossilen Welt.

Biogas im Haushalt, wie geht denn das? Das ist wie beim Ökostrom. Ich gebe jemanden Geld, damit er für mich so viel einspeist, wie ich zu Hause in der Brennwerttherme und beim Kochen verbrate (im Jahr noch 800 Kubikmeter). In Maastricht sind nämlich die Feinstaubwerte nicht so gut. Sonst würde ich wahrscheinlich Holz verfeuern für den Restwärmebedarf. Womit wir bei der individuellen Frage wären, wie Sie und ich, also die Avantgarde vom Klimaclub Deutschland, eintauchen ins 100 Prozent erneuerbare Leben jenseits der Energiesparlampe.

Erneuerbare Wärme ist natürlich der Schlüssel. Glücklicherweise bin ich nicht, wie viele taz-LeserInnen, von irgendwelchen Vermietern oder Eigentümerversammlungen abhängig. Ich konnte mein Dach dämmen, eine solarunterstützte Heizung einbauen und eine Lüftung mit Wärmerückgewinnung im Bad installieren. Und jetzt also Biogas als Brückentechnologie.

Natürlich muss auch der Biogasverbrauch in den nächsten Jahren runter. Ein modernes Haus braucht keine Energie von außen. Dafür brauche ich aber vor allem kompetente Altbau-Architekten. Wie dämme ich nämlich meine Klinkerfassade aus den 50er Jahren passivhausmäßig, ohne die Klinkerfassade hinter Dämmung zu verstecken? Wie baue ich ohne viel Platzverlust einen thermischen 10.000-Liter-Langzeitspeicher ein?

Leider fällt bei so harmlosen Fragen den meisten Schnarchitekten nicht viel ein, weil sie Klimaschutztechnik 20 Jahre nicht interessiert hat. Weil sie die innovativen Kollegen vom Passiv-, Plusenergie- und Sonnenhaus lange Zeit belächelt haben. Dafür hat der Mainstream für Koolhaas' Ästhetik geschwärmt und Calatravas neues fliegendes Bahnhofsdach angehimmelt.

Ich war übrigens gestern erst in Lüttich und hab mir Calatravas riesiges Glasdach nochmals angeguckt. Ganz hübsch, aber wo ist bitteschön die integrierte Fotovoltaik? Komm ich zurück zum Bahnhof in Maastricht, fällt mein Auge gleich auf das lustige Bürogebäude des Berliner Schnarchitekten Hans Kollhoff, ebenfalls ohne Erneuerbare, dafür aber mit kleiner Akropolis auf dem Dach. Professor Kollhoff hat sich gerade erst in Sachen Klimaschutz zu Wort gemeldet: Er polemisiert gegen die Idee der Nullemissionsgebäude und warnt, dass Fassaden geistlos und stumpfsinnig ruiniert werden, spricht vom Dämmwahn und CO2-Panik in Deutschland.

Aber, aber, Herr Kollhoff: Warum denn so verschnarcht? Erneuerbare plus Dämmung plus Ästhetik: Der echten Architekten-Avantgarde fällt da in den nächsten Jahren sicher was ein. MARTIN UNFRIED

28.09.2010

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