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12.09.2023 | Dienstag | FUTURZWEI Nr. 26 | Neue Bücher mit Zukunft | Buchbesprechung

Rezension: „Ökonomie(n) mit Zukunft“ von Reinhard Loske

Wie kann es sein, dass große Teile der Politik und Wirtschaftswissenschaften immer noch so tun, als würde das Bruttoinlandsprodukt etwas über den echten Wohlstand einer Gesellschaft verraten?

 

Ohne Wachstum ist wieder mal alles nichts. Beinahe grotesk, wie in diesen Monaten das Ende des Wohlstands diskutiert wird, da die übliche Wachstumsrate ausbleibt. Wird Deutschland deindustrialisiert? Fährt Habeck das Land vor die Wand? Ein Industriepräsident warnt, das Bruttoinlandsprodukt gehe im laufenden Jahr zurück, das müsse ein Industrie- und Exportland alarmieren. Wie weiter mit dem Wachstumszwang? war ein früheres Buch von Reinhard Loske, der seit Jahrzehnten als Wissenschaftler zu Nachhaltigkeit und Wirtschaft forscht. Und man merkt dem aktuellen Buch Ökonomie(n) mit Zukunft an, dass Loske reichlich frustriert auf die letzten zehn Jahre schaut: Wie kann es sein, dass große Teile der Politik und Wirtschaftswissenschaften immer noch so tun, als würde das Bruttoinlandsprodukt etwas über den echten Wohlstand einer Gesellschaft verraten?

In diesem Sinne erinnert Loskes Publikation vor allem daran, wie wenig die Wachstumskritik der letzten Jahrzehnte das Handeln von Regierenden wirklich verändert hat. »Vieles von dem, was wir heute Wirtschaftswachstum nennen, ist in Wahrheit unwirtschaftliches und substanzverzehrendes Wachstum und müsste längst mit einem negativen Vorzeichen in die volkswirtschaftliche Gesamtrechnung eingehen.« Das klingt nicht anders als vor zehn Jahren und verweist auf ein erstaunliches Scheitern des Weiterdenkens. Der aktuelle Bundeskanzler formuliert: »Ich bekenne mich zum Wachstum, es ist unverzichtbar.« Und zwar ohne Ironie und basierend auf den alten Wachstumsindikatoren und nicht etwa auf einer neuen Berechnung von nachhaltigem Wohlstand. Robert Habeck hatte in einem taz-Interview bestätigt, dass es auch in seinem Ministerium keine Degrowth-Abteilung gibt.

Warum die Bundesregierung bis heute mit den »falschen« Indikatoren hantiert, beschreibt Loske durch Erfahrungen aus erster Hand als früherer Bundestagsabgeordneter der Grünen und Mitinitiator einer Enquete-Kommission, die zu Wachstumszwang und Wachstumsindikatoren gearbeitet hatte. Deren Abschlussbericht 2013 habe insgesamt »wenig politische Wirkung« entfaltet und auch gesellschaftlich »nicht sonderlich gefruchtet«. Ein Grund sei die damalige »ideologische Wachstumsfixierung« von Politikern gewesen. Und an dieser Stelle möchte man mehr erfahren: Wenn das so ist, was haben dann eigentlich die Wachstumskritiker in all den Jahren falsch gemacht? Warum ist das bei weiten Teilen der Gesellschaft und in der Mainstream-Wissenschaft nicht angekommen? Dazu gibt es keine Analyse. Das ist schade, denn das Buch ist eine schlüssige und kompakte Erinnerung, was das Problem ist und was eigentlich nötig wäre: eine Wirtschaft mit klarer Orientierung an planetaren Grenzen, an »innergesellschaftlicher, internationaler und intergenerativer Gerechtigkeit« sowie an einem »zeitgemäßen Verständnis von Wohlstand und Lebensqualität«.

Am Ende des Buches formuliert Loske konkrete Regeln für eine nachhaltige Wirtschaft, als eine Art Zusammenfassung vieler Ansätze der Degrowth-Forschung. Aber eine zündende Idee, wie man dafür Mehrheiten in der Politik und breite Unterstützung aus der Wissenschaft organisieren könnte, hat Reinhard Loske leider nicht. Sehr wohltuend formuliert er indes, was eher kontraproduktiv sei. Wenn nämlich diejenigen, die sich für mehr Klimaschutz und Nachhaltigkeit einsetzen, sich untereinander duellieren, also »grünes Wachstum« versus »Degrowth«. Loske sieht sich zwar »mit beiden Beinen fest im wachstumskritischen Lager«, plädiert aber dafür, die ideologischen Unterschiede zwischen den verschiedenen ökologischen Denkrichtungen momentan nicht in den Vordergrund zu rücken. Der Handlungsbedarf sei zu groß, um auch noch jene zu spalten, die in die richtige Richtung gehen wollen. Das soll wohl heißen, es bringt nichts, Robert Habeck und Ursula von der Leyen als verblendete Green-Growth-Fetischisten zu bekämpfen, die das Licht nicht gesehen haben. Oder wie Loske es akademisch formuliert: »Ohne ein gewisses Maß an Ambiguitätstoleranz und dialektischer Aufhebung von Widersprüchen wird es nicht gehen.« ■
 

MARTIN UNFRIED

Überarbeitete Fassung vom 20. November 2023

Zum Buch:
Reinhard Loske: Ökonomie(n) mit Zukunft. Jenseits der Wachstumsillusion. Natur + Text 2023 – 80 Seiten, 19,90 Euro, ISBN: 978-3-942062-58-9
https://www.naturundtext.de/index.php/neuheiten/oekonomie-n-mit-zukunft
https://d-nb.info/1292109955

Foto: Dietmar Rabich, Aufgeschlagenes Buch -- 2020 -- 4204, Zuschnitt, CC BY-SA 4.0

12.09.2023 | Dienstag | FUTURZWEI Nr. 26 | Seite 66-67 | taz.futurzwei.org | Magazin für Politik und Zukunft | Neue Bücher mit Zukunft | Rezension | „Ökonomie(n) mit Zukunft“ | Wie kann es sein, dass große Teile der Politik und Wirtschaftswissenschaften immer noch so tun, als würde das Bruttoinlandsprodukt etwas über den echten Wohlstand einer Gesellschaft verraten? | Schlagwörter: Wachstum, Degrowth, Nachhaltigkeit | Bio: https://de.wikipedia.org/wiki/Martin_Unfried

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https://www.ioew.de/news/article/oekonomien-mit-zukunft-buchvorstellung-mit-reinhard-loske-und-harald-welzer
https://web.archive.org/web/20231112171602/https://www.ioew.de/news/article/oekonomien-mit-zukunft-buchvorstellung-mit-reinhard-loske-und-harald-welzer
https://taz.de/!p5099/
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https://oekotainment.eu/archiv/html/oekonomien-mit-zukunft-rezension
https://oekotainment.eu/20230912a
20230912futur2-nr26-oekonomie-n-mit-zukunft.rezension.pdf
https://blogs.taz.de/oekosex/2023/11/18/rezension-oekonomien-mit-zukunft-jenseits-der-wachstumsillusion/
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