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11.08.2017 | Freitag | taz | Kolumne Wir retten die Welt | Bernhard Pötter
Das Leben in der Natur ist schön, wenn sie einem nicht zu nahe kommt
Aufstieg zur Murgseehütte in den Glarner Alpen. Nach knapp 1.500 Höhenmetern drückt der Rucksack, der Schweiß klebt überall und der kalte Schweizer Regen hat längst unsere Stiefel durchweicht. Die ganze Gruppe ist müde, und jetzt, eine Stunde vor dem Etappenziel, stellt sich uns auch noch eine Horde von Bos primigenius taurus in den Weg. Große, massige Körper, spitzes Geweih, aufmerksame Augen fixieren uns. Die Muttertiere haben Junge und können aggressiv sein, haben uns Schilder am Weg gewarnt. Wir packen unsere Wanderstöcke fester.
Vorsichtig winden wir uns durch die Kuhherde. Nicht zu nahe an die Rinder, Kinder! Beruhigend brabbeln wir auf die Tiere ein, zucken aber trotzdem zusammen, wenn eines mal einen schnellen Schritt macht. Da ist der Elektrozaun! Als der Letzte durch das Tor schlüpft und wir den Stromkreis wieder schließen, atmen alle auf. „Komm doch, komm doch!“ Jemand zeigt dem Jungstier die Zunge. „Blöde Kuh!“, sagt ein anderer.
Es war eine Begegnung in freier Wildbahn, aber trotzdem das klassische Zoo-Verhalten: Auf der richtigen Seite der Scheibe oder des Zauns kann man sich über den 500-Kilo-Gorilla gut lustig machen. Oder sich über die Karies im Gebiss des Löwen auslassen. Zoologische Gärten mögen ihre Berechtigung haben, wenn sie uns exotische Tiere nahebringen oder die letzten ihrer Art durch Zuchtprogramme vor dem Aussterben retten. Aber sie führen auch dazu, dass wir wilde Spezies zu niedlichen Kuscheltieren degradieren. Nur aus der sicheren Distanz über einen Wassergraben hinweg kann eine Fressmaschine wie der Eisbär zum Knuddel-Kurt werden.
Dieses Verhalten ist dämlich, aber für Homo sapiens sapiens ziemlich artgerecht. Heldentum auf der richtigen Seite des Zauns. Wir machen am liebsten dann die dicksten Backen, wenn wir sicher sind, dass wir sowieso nichts ausrichten können. 80 Millionen Deutsche wissen ganz genau (aber erst nach dem Schlusspfiff), dass Bundestrainer Löw den Spieler XY auf keinen Fall hätte auswechseln müssen.
Selbstverständlich hätten die Grünen den Dieselskandal in zwei Wochen aufgeklärt, die Luftverpester von den Straßen genommen und gleichzeitig alle Jobs gerettet, die am Auto hängen. Klar, wir bräuchten nur einen Außenminister von der Linken, und zumindest Putin und Erdogan würden zu lupenreinen Demokraten werden. Und sicher, wir müssten nur den Kapitalismus zerschlagen, und die Welt wäre eine einzige große Montessori-Kita. Solange der Kapitalismus die Supermärkte füllt, die geplündert werden, lässt sich gut die Anarchie ausrufen.
Das Gleiche gilt auch 2.000 Meter über Normallnull. Das Leben in der Natur ist schön, wenn sie einem nicht zu nahe kommt und der Elektrozaun geladen ist. Das Leben in der Wildnis ist herrlich, solange die Grizzlybären auf der anderen Seite des Flusses bleiben. Und die Politik in Berlin ist gut erträglich, solange der Grundsatz gilt, den ein Staatssekretär letztens nur halb im Scherz aufstellte: „Wenn etwas nicht klappt, ist entweder der Koalitionspartner schuld – oder die Vorgängerregierung.“
Trocken und warm zu sitzen, andere für die Probleme verantwortlich zu machen und immer noch eine superschlaue Idee zu haben – ein herrliches Gefühl. Glauben Sie mir, ich weiß, wovon ich spreche. Ich bin Journalist.
Bernhard Pötter
Jahrgang 1965. Er arbeitet zu den Themen Klima, Energie, Witschaft und Umweltpolitik, Kirche, Kindern und Konsum. taz-Redakteur er seit 1993, zwischenzeitlich freier Autor unter anderem für DIE ZEIT, WOZ, GEO, New Scientist.
Bücher: zum Beispiel „Tatort Klimawandel“ (oekom Verlag) und „Stromwende“(Westend-Verlag, mit Peter Unfried und Hannes Koch).
11.08.2017 | Freitag | taz | Die Tageszeitung | Seite 9 | www.taz.de | Kolumne Wir retten die Welt | von Bernhard Pötter | Heldentum auf der richtigen Seite des Zauns | Das Leben in der Natur ist schön, wenn sie einem nicht zu nahe kommt | Bio: de.wikipedia.org/wiki/Bernhard_P%C3%B6tter
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