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12.12.2023 | Dienstag | FUTURZWEI Nr. 27 | Neue Bücher mit Zukunft | Buchbesprechung

Staatsfreund

Rezension: Jürgen Resch: Druck machen!

Jürgen Resch hat eine schlechte und zwei gute Nachrichten: Die Autoindustrie regiert, aber Rechtsstaat und EU-Gesetzgebung funktionieren

 

Ein gern benutztes politisches Klischee sagt, dass in Deutschland eigentlich die Autoindustrie regiert. Nach Lektüre von Jürgen Reschs Buch über die skandalöse Kumpanei von Industrie und Regierungen muss man sagen: Stimmt.

Was passiert, wenn Bürgerïnnen vor Gericht in der letzten Instanz eine Strafe oder andere Auflagen aufgebrummt bekommen? Dann müssen sie sich an Recht und Gesetz halten, sonst kann sogar Beugehaft drohen. Was aber, wenn sich Regierungen nicht an Gerichtsurteile halten?

In der Rückschau waren die Manipulation von Dieselmotoren und die verständnisvolle Haltung deutscher Regierungen und des Kraftfahrtbundesamtes der Beweis, dass die Nähe von Staat und Konzernen alles andere als gesund ist. Man muss sich klar machen, was da passierte: Bundes- und Landesregierungen verteidigten die Interessen betrügerischer Unternehmen selbst gegen die Interessen geschädigter Bürgerïnnen. Und das ist in diesem Fall keine Verschwörungstheorie, sondern dutzendfach von deutschen Gerichten bestätigt.

Nun hat Jürgen Resch, Geschäftsführer der Deutschen Umwelthilfe (DUH), dazu ein spannendes Buch geschrieben mit dem Titel Druck machen!. Was man vor allem lernt: Wer sich für die Einhaltung von Umweltrecht einsetzt, braucht gute Anwälte und einen langen Atem. Seit 2005 hat die Umwelthilfe auf dem Klageweg Maßnahmen für saubere Luft gegen den erbitterten Widerstand der Autokonzerne und der mit ihr verbundenen Landesregierungen durchgesetzt. Und wiederholt weigerten sich diese, rechtskräftige Gerichtsurteile zu beachten. Und zwar nicht nur CSU-geführte Regierungen in München. Auch Winfried Kretschmanns Widersacher vor Gericht war in unzähligen Prozessen eben jener Jürgen Resch, der mit der DUH eine Umwelt-NGO vertritt, deren Waffe vor allem das Gesetz ist.

Umso grotesker, dass die Umwelthilfe zu Hochzeiten des Dieselskandals von der Autoindustrie, der Bild-Zeitung und Teilen der CDU zu einer Art Staatsfeind erklärt wurde. Warum? Weil sie in Dutzenden deutschen Städten vor Gericht Fahrverbote und andere Maßnahmen erstreiten konnten im Interesse der Gesundheit der Anwohnerïnnen. Resch berichtet von gehackten Handys, anonymen Warnungen, Telefon- und E-Mail-Terror und einer beispiellosen Bild-Kampagne. Höhepunkt war dabei ein Artikel mit dem Titel: So schicken die Diesel-Hasser Kinder betteln (bild.de - hinter Paywall). Merke: neben guten Anwälten brauchen Umweltschützer und Freunde des Rechtsstaates auch starke Nerven. Dabei ging es laut Resch um die Existenz der Organisation und seinen persönlichen finanziellen Ruin.

Selbstverständlich können sich Autokonzerne mit großen finanziellen Mitteln die besten Anwaltskanzleien leisten. Unter diesem Aspekt ist das Buch deprimierend. Pressepartner beendeten die Zusammenarbeit mit der Umwelthilfe, weil die Konzerne drohten, keine Werbung mehr zu schalten. In ganz Deutschland fand sich kein Prüflabor für unabhängige Tests, da diese wirtschaftlich abhängig sind von den Aufträgen von Volkswagen und Co. Laut Resch haben Landesregierungen und Autokonzerne schon mal die Formulierungen ihrer Pressemitteilungen wörtlich abgestimmt. Noch denkwürdiger: Die Kontrollbehörde des Staates hatte sich geweigert, die Angaben der Hersteller mit eigenen Tests zu kontrollieren. Was in den USA zu Milliardenstrafzahlungen führte, wollten deutsche Regierungen einfach nicht wissen.

Trotz des niederschmetternden Befundes, dass in Deutschland eigentlich die Autoindustrie regiert, hat Reschs Buch eine gute Nachricht: Es zeigt nämlich, dass der deutsche Rechtsstaat funktioniert und es sich lohnt, für die Einhaltung von Gesetzen einzustehen. Deutsche Gerichte ließen sich im Fall der Luftreinhaltung weder von Konzernen noch Regierungen einschüchtern. Sie verurteilten in unzähligen Verfahren Kommunen und Landesregierungen zur Einhaltung von Grenzwerten im Sinne der Gesundheit. Sie verurteilten Regierungen zur Darlegung von Aktionsplänen, Fahrverboten und zur Herausgabe von Umweltinformationen.

Und nebenbei wurde dabei auch der Mythos abgeräumt, dass man die Bürokraten in Brüssel eigentlich nicht brauche, da Subsidiarität besser sei. Meint: vor Ort könne man viel besser regeln, was die Leute direkt betrifft. Leider falsch: warum haben all die Stadtparlamente nicht dafür gesorgt, dass in der eigenen Stadt die Luftqualität wenigsten den gesetzlichen Standards entsprach? Und wenn schon die Kommunen sich nicht an geltendes Recht hielten, hätten nicht die Landesregierungen sie zur Einhaltung von Gesetzen zwingen müssen?

Der Kampf um saubere Luft in den Städten weist in diesem Sinne auf ein Paradox hin: Die Instanz, die am besten die Gesundheit der Stadtbevölkerung schützen kann, ist die Europäische Union. Dort wurden vor vielen Jahren bereits die Gesetze gemacht, die auf der kommunalen und Landesebene nicht eingehalten wurden. Gesundheitsinteressen hatten es hier paradoxerweise besonders schwer.

So ist das Buch von Jürgen Resch zwar ernüchternd, was die Rolle deutscher Regierungen angeht. Es zeigt aber, dass neben dem funktionierenden Rechtstaat auch europäische Umweltpolitik ein Segen sein kann mit ambitionierten Grenzwerten und dem Druckmittel der Vertragsverletzungsverfahren. Insbesondere im Autoland Deutschland braucht es diese langfristig orientierte Gesetzgebung aus Brüssel. Im Moment wird übrigens die entsprechende Luftqualitätsrichtlinie novelliert mit neuen Standards für 2030. Dann könnte der Zirkus von vorne beginnen. Und dann braucht es vor allem wieder eine unabhängige Justiz, die beispielsweise auch in Bayern Urteile fällte gegen die Staatsregierung. Auch wenn es mit der Beugehaft für Ministerpräsidenten bisher noch nicht geklappt hat. Die hatte Jürgen Resch nämlich zurecht gefordert, als Landesregierungen wiederholt Urteile ignorierten. Und so sind die wahren Staatsfeinde in erster Linie die Feinde des Rechtstaates. Bild lag auch hier ziemlich daneben. Jürgen Resch kann man eher als Staatsfreund bezeichnen.■

MARTIN UNFRIED

Zum Buch:
JÜRGEN RESCH: Druck machen! Ludwig 2023 – 336 Seiten, 22 Euro, Ludwig Verlag (Verlag), ISBN: 978-3-453-28159-2
https://d-nb.info/1272079856
https://www.penguin.de/Buch/Druck-machen/Juergen-Resch/Ludwig/e612158.rhd, archive.org-Version

Foto: Dietmar Rabich, Aufgeschlagenes Buch -- 2020 -- 4204, Zuschnitt, CC BY-SA 4.0

12.12.2023 | Dienstag | FUTURZWEI Nr. 27 | Seite 64-66 | taz.futurzwei.org | Magazin für Politik und Zukunft | Titelthema: Verbrauchte Ziele – Klimaziele unerreichbar. Was nun? | Neue Bücher mit Zukunft | Rezension: Jürgen Resch: Druck machen! | Staatsfreund | Jürgen Resch hat eine schlechte und zwei gute Nachrichten: Die Autoindustrie regiert, aber Rechtsstaat und EU-Gesetzgebung funktionieren | Schlagwörter: Dieselskandal, DUH, Gericht, Klagen, Staatsfeind, Staatsfreund, Umweltrecht | Bio: https://de.wikipedia.org/wiki/Martin_Unfried

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Links:
Jürgen Resch (Wikipedia)
Deutschen Umwelthilfe (DUH) (Wikipedia)
So schicken die Diesel-Hasser Kinder betteln (bild.de - hinter Paywall)
https://www.penguin.de/Buch/Druck-machen/Juergen-Resch/Ludwig/e612158.rhd, archive.org-Version
https://d-nb.info/1272079856
https://oekotainment.eu/archiv/html/staatsfreund
https://oekotainment.eu/20231212a
https://taz.de/!p5099/
http://taz.futurzwei.org
https://futurzwei.org/
https://blogs.taz.de/oekosex/2023/12/31/staatsfreund/
20231212futur2-nr27-der-staatsfreund.rezension.pdf
20231212futur2-nr27-der-staatsfreund.rezension.txt