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23.10.2011 | Sonntag | Ökosex

Lang lebe der solare Eigenstrom!

Warum gerade die Photovoltaik manche Bürger irritiert, ihnen aber die größte Macht in Sachen Energiewende beschert

 

Ich kenne viele engagierte Freunde der Ökologie und der Energiewende, die in einem Punkt seit Jahren ein Problem haben. Die Sonne scheine, so meinen sie doch, in Spanien länger als in Deutschland. Also bleibe Fotovoltaik doch ein teures Hobby. Sie liegen mir in den Ohren mit der Klage, dass durch die hohen Kosten des Sonnenstroms die ganze Akzeptanz der Energiewende gefährdet sei.

Und überhaupt, sei das alles gar nicht sozial. Da müssten doch die armen Haushalte in Gelsenkirchen mit ihren hohen Strompreisen für den schwäbischen Zahnarzt und dessen Fotovoltaik bluten. Dahinter steckt einiges, beispielsweise das Missverständnis, die EEG Umlage von heute 3.5 Cent (die mit der festen Einspeisevergütung der Erneuerbaren zu tun hat), müsse man nur mit dem Verbrauch an Kilowattstunden eines Haushalts multiplizieren und schon könne man sagen, was wir für die Erneuerbaren mehr bezahlen.

Das aber ist nicht so, denn der Strompreis zuhause hängt noch an anderen Faktoren, beispielsweise am Börsenpreis und an der Preispolitik der Konzerne. Die meisten Journalisten, die in diesen Tagen wieder über die neu berechnete EEG Umlage berichten (die mehr oder weniger stabil bleibt), verstehen das nicht und hauen wieder auf die PV als vermutlichen Preistreiber ein. Sie und viele andere haben die Bürgerfreundlichkeit dieser Technik nicht erkannt.

Zur Anregung hier ein Vergleich: Als IBM am Anfang des Computerzeitalters die Chance hatte, die Garagenfirma Microsoft zu kaufen, schlug man nicht zu. Waren die blöd! Werden sie heute sagen. Natürlich waren die Experten damals nicht blöd bei IBM, es mangelte nur an Fantasie. Der Computerriese baute nämlich zentrale Rechner, die wiederum mit anderen riesigen, zentralen Rechnern vernetzt waren.

Was fehlte, war die Fähigkeit über den eigenen Tellerrand zu denken. Man hielt es für abwegig, dass private Haushalte massenweise Rechner kaufen wollten. Tatsächlich hatten vor der Ankunft der Comodores und Ataris Privatleute wenig Interesse gezeigt, an Rechenmaschinen jenseits des Taschenrechners. Aus heutiger Perspektive natürlich absurd, wo vom Smartphone zur Kaffeemaschine alles über das Netz vernetzt ist. Wir würden allerdings niemals heute mit unserem Laptop einen Espresso schlürfen, wenn schlaue Volkswirte die Laptoppreise von 1990 mit denen von Großrechnern verglichen hätten, um dann zu sagen, dass die Rechnerleistung 100mal so viel koste und Laptops deshalb keine Option seien. Wir haben gesehen, wie bei Massenfertigung Preise purzeln. Und überhaupt wissen wir heute, dass es bei Computern nicht nur um den Kostenvergleich geht. Der eigene Computer und die intelligente Vernetzung ist ein Wert an sich und verändert alles.

Nun ähnelt die Fehleinschätzung von IBM der Fehleinschätzung des Mainstreams im Bereich der Energieversorgung in Sachen Fotovoltaik. Aber hier wurden lange Jahre die Preise einer am Anfang stehenden Technik mit denen abgeschriebener Kohle- und Atomkraftwerke verglichen. Mehr noch als Wind, der in seiner Offshore-Variante ja auch sehr zentral gedacht werden konnte, fiel die Fotovoltaik viele Jahre lang völlig aus den Rahmen herkömmlichen Mainstreamdenkens.

Es brauchte ebenso viel Fantasie, um sich vorzustellen, dass Privatleute ein Interesse daran haben könnten, ihren Strom selber zu machen oder sogar selbst speichern zu wollen, um nicht von Konzernen kaufen zu müssen. Heute löst der Begriff “Eigenstrom” schon recht handfeste Vorstellungen aus. Dem Eigenstrom gehört die Zukunft, nicht nur weil Solarworld in der Fernsehwerbung damit spielt.
Noch stärker als die Beteiligung an einem Windrad ist eben der direkt eingespeiste Sonnenstrom ein tolles Geschenk für den mündigen Energiebürger. Vielen dämmert, dass produzieren schöner ist als abhängig konsumieren. Und PV ist bald für alle da. Die Modulpreise fallen nämlich weiter. PV auf Freiflächen ist heute bereits so günstig wie Offshore-Wind mit all seinen Folgekosten in Sachen Leitungsbau.

Und wer als Privatmann über 20 Cent für die Kilowattstunde für Fremdstrom mit Steuern und Pipapo bezahlt, der wird bald so viel Eigenstrom wie möglich produzieren und verbrauchen. “Und was machen wir Mieter?”, höre ich viele Stadtbewohner maulen. Da braucht es wohl ein neues Menschen- und Mietrecht: nämlich das Recht auf das eigene Modul an Balkon und Fassade.

MARTIN UNFRIED ÜBER ÖKOSEX

*) Die Grafik wird wiedergegeben mit freundlicher Genehmigung von: Miro Poferl und Utopia

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