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Heft 06/2008 | PDF-Version dieses Artikels |
"Präsidiale Ausreden" |
Heute erkläre ich, warum Horst Köhler das Klimaschutzproblem in Deutschland prima repräsentiert. Ich hatte mal Latein und es blieb sehr wenig hängen. Was hängen blieb, war „pars pro toto“: Ein Teil steht für das Ganze. Deshalb beschreibe ich hier, warum das für den Bundespräsidenten und sein Auto gilt, welche Konsequenzen das für die emissionsfreie Mobilität hat und was das mit dem Autotest in der ZEIT zu tun hat.
Viele mäkeln am Bundespräsidenten rum. Das finde ich interessant, denn ehrlich gesagt kann ich ja gar nicht einschätzen, was der Bundespräsident den lieben langen Tag eigentlich so tut. In einem Punkt wollte ich mich schlau machen: Ich wollte wissen, ob der Bundespräsident meine Kampagne „Kein Auto über 120g/km CO2“ unterstützen kann. Es geht hier immerhin um die Rettung des Planeten, unsere Unabhängigkeit von Schurkenstaaten und um das Sparen von Benzingeld für sinnvollen Konsum, Stichwort Binnennachfrage in schweren Zeiten. Um es vorwegzunehmen, der Bundespräsident unterstützt das alles, aber er muss an seiner Dienstlimousine festhalten. Mit dieser Ambivalenz befindet er sich in Übereinstimmung mit vielen Politikern und Bürgern.
Nun fragen Sie, wie habe ich das rausgefunden? Kenne ich den Herrn Bundespräsidenten persönlich und kann ihn einfach so anrufen? Nein, aber ich bin ein leidenschaftlicher Bürgeranfrager und Leserbriefschreiber. Ich schicke beispielsweise jede Woche einen Brief an Redakteure der ZEIT. Wegen deren Autotests. Darin protestiere ich aufs Schärfste gegen die post-meta-pseudo-ironische Laisser-faire-Einstellung der ZEIT gegenüber unzeitgemäßen Spritschleudern und werbe für meine Kampagne „Kein Auto über 120“. Interessanterweise repräsentiert die ZEIT (wie der Bundespräsident) das Problem der nachhaltigen Mobilität in Deutschland. Ja, wir sind natürlich auch dafür, heißt es auf der ersten Seite in tollen Leitartikeln. Aber wenn es auf die eigene emotionale Klimaintelligenz ankommt und es gilt, einen Volvo Cabrio abzubürsten, weil 174 g/km CO2 ein Steinzeitwert sind und man davon rote Flecken ins Gesicht bekommt, versagen die Redakteure aus Hamburg kläglich. Ich gehe so weit und behaupte, eines der wesentlichen Probleme des Klimaschutzes in Deutschland sind die altbackenen „Autogefühle“ der ZEIT, und ich stelle mich jeder Podiumsdiskussion.
Jetzt aber zum Bundespräsidenten. Der beantwortet Briefe natürlich nicht persönlich. Das macht das Bundespräsidialamt sehr bürgernah. Kaum hatte ich Horst Köhler gefragt, ob er denn auch eine Dienstlimousine unter 120g/km CO2 fahren könne wegen der Vorbildfunktion und dem ganzen Kladderadatsch, kam schon die Antwort. Der Schlüsselsatz war folgender: „Gleichwohl liegt ihm der Klimaschutz sehr am Herzen und er benutzt viele öffentliche Foren, um dies deutlich zu machen, um eine Veränderung in den Köpfen und den einzelnen Lebensstilen zu erreichen.“ Das ist doch schön. Auch das Wort „gleichwohl“ klingt dufte und sehr bundespräsidial. Das mit der Dienstlimousine unter 120g/km CO2 geht aber trotzdem nicht – wegen protokollarischer, statussymbolischer und sicherheitstechnischer Aspekte. Das meine ich mit idealer Repräsentation des Volkes. Fragen Sie mal einen x-beliebigen Familienvater, ob er seinen schrecklichen Van nicht gegen ein vernünftiges Auto tauschen könnte. Er wird Ihnen sagen, das sei aus statussymbolischen, kinderwagen- und natürlich sicherheitstechnischen Gründen nicht möglich. Eine erstaunliche Übereinstimmung: Drei Ausreden des Bundespräsidenten und des Familienvaters sind sogenannte softe Ausreden. Also eigentlich Quatsch. Das Protokoll kann man ändern, den Status anders definieren, den Kinderwagen daheimlassen. Bleibt ein ernstzunehmendes Problem: die Sicherheit von Leib und Leben. Aus Sicherheitsgründen müssen wir also angeblich die Unsicherheit in der Welt erhöhen.
Herr Bundespräsident, lieber Familienvater: Wir müssen reden.
Martin Unfried
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