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18.03.2012 | Sonntag | Ökosex

Moral und Hose

Freiheit und Nachhaltigkeit: Wir brauchen auch geistige und moralische Ansagen in Sachen Öko und Gerechtigkeit

 

Ich bin für Nachhaltigkeit und als Bundespräsident wäre das mein großes Ding. Auch ich habe mein Lebensthema gefunden. Und wie unser neuer Bundespräsident bin auch ich ein bisschen einseitig. Freunde und Bekannte beklagen das, weil mein Gequatsche über Photovoltaik, Windenergie und Dreifachverglasung manchmal nachhaltig nervt. Das ist sicher bei Gauck auch so. Bei Familiengeburtstagen werden sie stöhnen, wenn er wieder an die Freiheit erinnert.

Wie bei mir: ich erinnere bei Familienfesten ab und zu an den CO2-Ausstoss von Onkels neuem Auto. Monothematische Typen nerven, das ist bewiesen. Und natürlich blockiert die Einseitigkeit auch andere wichtige Aspekte des Lebens. Ich spreche beispielsweise wenig über Freiheit, obwohl ich auch sehr für Freiheit bin. Wahrscheinlich hängt das damit zusammen, dass ich als schwäbisch-niederländischer Europäer immer in Freiheit gelebt habe. Das heißt nicht, dass mir die Freiheit egal ist. Sicher kann ich da noch einiges von unserem neuen Bundespräsidenten lernen. Er wiederum ist sicher nicht gegen die Nachhaltigkeit, wo doch Freiheit und Nachhaltigkeit zusammen gehören.

Ja, sie hören richtig. Öko und Nachhaltigkeit hat viel mit Freiheit zu tun. Und nicht etwa mit Unfreiheit. Viele denken ja sofort an Glühlampenverbot oder an ein Tempolimit und meinen, eine echte Nachhaltigkeitspolitik fördere nur den Hang zur Ökodiktaktur. Nein, eher im Gegenteil. Nicht nachhaltige Politik und Handeln führt zur Unfreiheit. Unfreiheit der Verkehrsmittelwahl beispielsweise: Ich habe letzte Woche eine Stadt ohne Fahrradinfrastruktur gesehen. Ich war in Aberdeen in Schottland. Unvorstellbar! Eine Stadt ohne Fahrräder! So etwas ist eine schlimme Freiheitsberaubung. Zwangsmotorisierung und Autodiktatur durch verantwortungslose Verkehrsplanung. Und leider gibt es das auch immer noch in Deutschland. Da frage ich mich manchmal, warum sich Bürger eine solche Beschneidung ihrer Freiheit bieten lassen. Ich erwarte gerade in Sachen Fahrradwege klare Worte vom neuen Bundespräsidenten.

Deshalb hoffe ich, es gibt eine Schnittmenge zwischen dem Gauckschen Freiheitsbegriff und dem Umbau der Industriegesellschaft in Richtung Nachhaltigkeit. So sollte der Bundespräsident beispielsweise etwas sagen zu einem schwierigen Problem der Freiheit: dem Kauf einer Hose. Ich war am Wochenende in Maastricht in einem „fairtrade“ Hosenladen. Recht einfache aber grundehrliche Hosen ab 125 Euro. Joachim Gauck sagte in seiner Antrittsrede „zur Freiheit gehört die Verantwortung“. Sehr gut. Meine Freiheit in Deutschland im Konsumkapitalismus ist ja sagenhaft: ich könnte eine Hose um 12.50 Euro kaufen.

Die wiederum hängt sehr oft direkt mit der Unfreiheit anderer zusammen. Beispielsweise unserer Näherinnen in Bangladesh, denen verwehrt wird, einer Gewerkschaft anzugehören. Oder während der Arbeit aufs Klo zu gehen. Meine Freiheit zum Schnäppchen bedeutet also Ausbeutung. Was sagt Gauck dazu? Nehmen wir an, ich kaufe die Hose um 12.50 Euro: handelt es sich um einen Missbrauch meiner Freiheit auf Kosten anderer? Mich würde freuen, wenn ein Bundespräsident auch mal was Schlaues sagen könnte zum Eingemachten des globalen Kapitalismus. Hier braucht es nämlich tatsächlich neue moralische Debatten und vielleicht auch einen neuen moralischen Grundkonsens. Bisher gehörte die Sorge um die Freiheit unserer Hosenproduzenten nicht unbedingt zum Wertekanon dieser Gesellschaft.

Ähnlich ist es mit unserer Verantwortung für die Freiheit künftiger Generationen.Auch dazu würde ich gerne was hören: wo genau müssen wir unsere Freiheit freiwillig beschneiden, um die Spielräume künftiger Generationen zu bewahren? In Sachen Atomkraft hat die deutsche Gesellschaft einen Grundkonsens zum Ausstieg gefunden. Dahinter steckt eine Menge moralischer und emotionaler Überzeugung. Interessanterweise kam dieser moralische Konsens aus der Gesellschaft und nicht vom politischen Spitzenpersonal. Bei der Nachhaltigkeit ist es bisher ähnlich. Auch hier sind Teile der Gesellschaft bereits weiter als die Politik. Darum wird es spannend, wo Gauck die Grenzen unserer Freiheit sieht: bei Dienstlimousine über 350 g/km CO2? Bei Geschwindigkeiten jenseits der 120 km/h auf der Autobahn? Oder bei subventionierten Billigflügen nach Mallorca?

 

MARTIN UNFRIED ÜBER ÖKOSEX

*) Die Grafik wird wiedergegeben mit freundlicher Genehmigung von: Miro Poferl und Utopia

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