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02.09.2012 | Sonntag | Ökosex

Schneller rasen mit Tempolimit

Das sind Probleme: in Deutschland wird über ein Moratorium bei den Erneuerbaren nachgedacht, in den Niederlanden die Geschwindigkeit erhöht

 

Wer denkt in Deutschland seien die Parteien irgendwie komisch drauf, der muss mal zu mir in die Niederlande kommen. Wir sind kurz vor den Wahlen. Ich weiß, das interessiert in Deutschland keinen Hund, aber ich erzähle es trotzdem: in der Nacht zum Sonntag wurde bei uns die Geschwindigkeit erhöht. Freie Fahrt für freie Wähler! Auf der Autobahn dürfen wir jetzt statt 120km/h sensationelle 130km/h fahren. Das war eine Art Geschenk der scheidenden Regierung. “Schrecklich. Das sind fast deutsche Zustände!” beklage ich mich bei meinen niederländischen Freunden. Die zucken mit den Schultern.

Beschleunigt werden zwar dicke Daimler und wuchtige Volvos, nicht aber Erneuerbare und Klimapolitik. Da muss sich die Regierung sogar noch ein paar Emissionsminderungen im Ausland kaufen, um die eh schon schwachen Kioto Ziele zu erreichen. Wind und Sonne kommen nämlich nur schleppend voran. Hier stand die scheidende Regierung eher auf der Bremse. Und deshalb ist sie auch relaxed, denn wir haben Eure “schlimmen” Probleme nicht.

Nein, uns in den Niederlanden frisst dieser rasante Zubau an Solar und Wind nicht die Haare vom Kopf. Denn unser Atomkraftwerk wurde ja auch nicht abgeschaltet! Keine Gefahr: es gibt in Zeeland laut Regierung keine Tsunamis. Merkwürdig ist, dass diese verrückten Pro-Atomparteien keine Stimmen verlieren werden. Klimaschutz, Erneuerbare und Umwelt kommen nämlich im Wahlkampf nicht vor. Interessiert keinen Hund, außer mir. Meine Freunde zucken mit den Schultern.

Angeblich werden ja diese Themen Eure Bundestagswahl 2013 beherrschen. Erstaunt musste ich lesen, dass es in Eurem Photovoltaik-Country sogar ein Tempolimit geben könnte. Fürsorglich meint Umweltminister Altmaier, er müsse jetzt mal den schnellen Zubau an Wind und Solar stoppen. Ganz zu schweigen von der FDP, die ein komplettes Moratorium fordert. Tempolimit und Moratorium in Sachen Erneuerbare: glücklich ist, wer diese Probleme hat. Was mich allerdings irritiert: bei Euch soll angeblich der Strom so teuer sein wegen EEG und so. Merkwürdig: wir haben in NL weder EEG noch Solarboom, aber unser Strom ist genauso teuer. Dabei müsste doch der Haushaltsstrom, wenn wir den EEG Kritikern glauben, hier in jedem Fall 3.5 Cent günstiger sein. Ist er aber nicht. Kann es also sein, dass Konzerne und Regierung auch ohne Förderung der Erneuerbaren gerne etwas drauf packen?

Hauptsache ist, dass wir jetzt schneller von Maastricht nach Amsterdam kommen. Genauer gesagt, so um die acht Minuten, wenn es gut läuft. Das ist der Wermutstropfen an der niederländischen Tempoerhöhung: das Land ist einfach zu klein, um die Früchte zu ernten. Deshalb wurde das auch nicht der ganz große Erfolg der abgetretenen liberal-christdemokratischen Regierung. Gewählt wird bei uns übrigens nur, weil die Partei des Rechtspopulisten Wilders den Stecker aus dem Minderheitenkabinett zog. Die ist so seriös, dass sich die Liberalen und Christdemokraten tolerieren ließen.

Beweis: Wilders Partei ist für ein radikales Tempolimit von 140km/h. Im Wahlprogramm ist übrigens diese Forderung mit Abstand die seriöseste. Verglichen beispielsweise mit dem Tempolimit in Sachen Religionsfreiheit. Der Islam soll nämlich verboten werden. Tempolimit auch bei der Reisefreiheit: Polen, Rumänen und Bulgaren könnten demnach zwar mit 200 km/h durch Deutschland brausen, aber an der Grenze in Aachen wäre Schluss. Schlüssig, dass Wilders den Austritt aus der EU fordert. Aus dem Euro sowieso. Und zur Erinnerung: das ist im Parlament derzeit noch die drittgrößte Partei, die in den letzten Jahren wesentlich die Regierungspolitik mitbestimmt hat. Die sind natürlich auch gegen Windmühlen. Keine einzige Windturbine soll mehr gebaut werden. Nix Moratorium, sondern einfach verbieten, mitsamt den Burkas.

 

MARTIN UNFRIED ÜBER ÖKOSEX

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Links zur Kolumne: de.wikipedia.org/wiki/Provinz_Zeeland

*) Die Grafik wird wiedergegeben mit freundlicher Genehmigung von: Miro Poferl und Utopia

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