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Klimabilanz der taz

14.06.2016 | Dienstag |  Kommentar | zeozwei | Das Umweltmagazin: Magazin für Klima. Kultur. Köpfe.

ANDERS DENKEN: Ist es mit dem Fliegen wie mit dem Rauchen ... MARTIN UNFRIED?

Selbst viele Umweltbewusste flogen nicht weniger, nur weil ich moralisierte.

Viele Jahre habe ich Bekannte auf ihr sorgloses Flugverhalten angesprochen. Ich dachte, Vorbilder einer flugfreien Mobilität könnten gesellschaftlich einen Trend zum weniger Fliegen auslösen.
Das war gut gemeint, aber null effektiv. Selbst viele Umweltbewusste flogen nicht weniger, nur weil ich moralisierte. Ich habe also gelernt: mit gesellschaftlichem Bewusstsein und individueller Moral können wir das strukturelles Angebot- und Nachfrageproblem in Sachen CO2-intensive Flugreisen nicht lösen. Ohne politische Flankierung verpufft das Bewusstsein.

Es ist mit dem Fliegen wie mit dem Rauchen. Das hätten wir mit gutem Zureden niemals aus dem öffentlichen Raum verbannen können. Erst heftige Preissignale und klare Verbote bewirkten den Unterschied. Interessanterweise hat ein gestiegenes Bewusstsein zwar nicht zu weniger Rauchen geführt, sehr wohl zu gesellschaftlicher Unterstützung für Rauchverbote. Heißt in Sachen Flugverkehr: Im Moment sollte für die richtigen politischen Instrumente gestritten werden - also effizientere Maschinen, Steuern, Emissionshandel, kein Flughafenausbau. Bewusstseinslyrik ist derzeit Energieverschwendung.

Paradoxerweise liegt das auch daran, dass die deutsche Gesellschaft bereits aufgeschlossen ist in Sachen Klimaschutz. Das ist in Polen vielleicht anders. In Deutschland kommt es mehr und mehr auf die Politik an. Der deutsch-niederländische Vergleich liefert wichtige Einsichten, wo die Politik gesellschaftliche Chancen nicht nützt. Niederländische Städte haben einen durchschnittlichen Fahrradanteil, von dem die Deutschen nur träumen können. Warum fahren die Niederländer Fahrrad? Weil sie Ökos sind? Nein, die Niederländer „fietsen“, weil die Infrastruktur professionell eingerichtet ist. Die hohe städtische Lebensqualität durch den Fahrradverkehr sichert seit Jahrzehnten politische Mehrheiten und verfestigt die Fahrradkultur. Die Radrevolution in Deutschland wird demnach erst mit der Investition in moderne Radinfrastruktur kommen. “Fahr mehr Fahrrad!”, können wir uns sparen.

Trotz des vielen Fahrradfahrens sind die Niederlande sind im Klimaschutz – für viele Deutsche überraschend - ein Totalausfall, wie das Ranking von Germanwatch zeigt. Zweitletzter Platz in der EU. Der Ausbau der Erneuerbaren läuft katastrophal, Kohlekraftwerke wurden erst in den letzten Jahren zugebaut. Liegt das am Bewusstsein? Nein, es liegt an falscher Gesetzgebung und lausigen Förderinstrumenten. Meine These: Die Klimaschützer in den Niederlanden hatten sich verzettelt statt sich auf das Wesentliche zu konzentrieren. Ihre Bewusstseinslyrik ("Weniger duschen!") schmerzt heute umso mehr, da die entscheidenden politischen Punkte verloren gingen.

Es geht heute bei allem offiziellen Energiewendegedöns wieder um die Konzentration auf das politisch Wesentliche. Ich meine, das ist in Deutschland immer noch der politische Kampf für ein Vermarktungsmodell für Erneuerbare, das die neue Ausbaubegrenzung durch die Ausschreibungen im ruinierten EEG überwindet. Und parallel dazu geht es darum, politische Mehrheiten zu organisieren für einen rascheren Kohleausstieg.

Der Klimaschutz in Demokratien braucht vor allem auch Erfolgsgeschichten, so beschränkt der Blick auf die „Stromwende“ derzeit auch ist. Aber nur so funktioniert so ein verdammt mühsamer iterativer Prozess: durch Vorantasten in Politik und Gesellschaft wird entlang von Interessen und Machtkonstellationen nach und nach Bewusstsein, Akzeptanz und Wirkung erzeugt und Routine etabliert. Im besten Fall finden effektive Politik und gesellschaftliches Bewusstsein dann zueinander.

Übrigens fahren die Niederländer kleinere Autos als die Deutschen und weniger Diesel. Weil sie weniger gerne rasen? Nein, weil in diesem Bereich sinnvoll reguliert wird: Wo die Niederländer durch Steuern deutliche Anreize geben zum Kauf von Kleinwagen, Benzinern und Elektroautos, fördert Deutschland den großen Dienstwagen und Diesel.

 

MARTIN UNFRIED ist Experte für europäische Umweltpolitik in Maastricht und Erfinder von Ökosex.

 

14.06.2016 | Dienstag | zeozwei 3/2016 | www.zeozwei.de | Das Umweltmagazin: Magazin für Klima. Kultur. Köpfe. | Titelthema: Hallo, Nachbarn. | ANDERS DENKEN: Ist es mit dem Fliegen wie mit dem Rauchen ... MARTIN UNFRIED? | Selbst viele Umweltbewusste flogen nicht weniger, nur weil ich moralisierte.

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