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30.06.2013 | Sonntag | Ökosex

Bin ich ein grüner Fascho?

Wer ein harmloses Verbot von Kohlekraftwerken fordert, sieht sich schnell in der Fascho Ecke – dahinter stecken starke Gefühle.

 

Ich habe in der taz ein längeres Stück geschrieben zum Thema “Ordnungsrecht”. Kurz zusammengefasst, warb ich dafür in Sachen Klimaschutz und Energiewende künftig einfach mal ein paar Sachen gesetzlich zu regeln, nachdem die Hoffnungen auf ökonomische Instrumente – wie den Emissionshandel – verflogen sind. Beispielsweise denke ich, man sollte den Neubau von Kohlekraftwerken gesetzlich einschränken, oder strengere Standards entwickeln für den Einbau von fossilen Heizungsanlagen. Als Fahrradfahrer hatte ich ebenso ein paar deutliche gesetzliche Verbesserungen für den innerstädtischen Radverkehr gefordert.

Die online-Kommentare dazu waren erfrischend. Jemand schrieb, dass würde uns grünen Faschos so passen. Wir wollten ja nur alle regulieren, denen es besser gehe als uns selbst. Überhaupt sei ich ein Berufsversager. Dazu muss ich sagen, dass es mir eigentlich recht gut geht, und ich keinen Groll hege gegenüber Leuten, denen es noch besser geht. Ein anderer Leser wünschte mir viel Spaß in einer Welt voller Orwellscher Überwachung, in der man das Denken anderen überlässt und alles vorgeschrieben werde.

Hinter den heftigen Emotionen steckt ein interessantes Phänomen. Es ist der immer wiederkehrende “Ökodiktatur”-Vorwurf, der sich gegen staatliche Vorgaben richtet, die einem nicht in den Kram passen. Dabei gibt es verschiedene Niveaus dieser eher emotionalen als politischen  Haltung. Die erste ist nicht pauschal gerichtet gegen ökologische Politik, sondern speist sich aus einer tiefen Abneigung gegen nervige Ökos, die grüne Partei und ihre Köpfe und gegen grüne Weltverbesserung als Ganzes.

Diese Haltung ist gerichtet gegen tatsächliches oder nur behauptetes “moralisches” Nervensägen der grünen Bande und ihre angebliche Inkompetenz in Sachen Politikinstrumente. Tatsächlich waren natürlich einige Vertreter der Ökobewegung in ihren Anfängen unerträgliche Moralapostel. Das ist allerdings Geschichte. Interessanterweise begründen Vertreter ökologischer Politik heute eher ökonomisch oder politisch. Das Feindbild “grüner Tugendwächter” ist dagegen mehr als lebendig.

Einige Publizisten haben in diesem Genre eine schöne Nische und ein dankbares Publikum gefunden und schreiben Artikel und Bücher mit dem Motto “die große Ökolüge” oder “jetzt noch größere Ökoirrtümer”. Hier wird berechtigte oder unberechtigte Kritik an einzelnen Instrumenten (Biotreibstoffe, EEG, Glühlampe, Umweltzone) verknüpft  mit dem generellen Idiotenvorwurf gegenüber Umweltpolitikern. Stefan Kreutzberger hat dazu ein schönes Buch geschrieben in der Tradition von Dirk Maxeiner und Michael Miersch. Interessanterweise liegt diesen Autoren meistens die Umwelt sehr am Herzen, sie wollen aber unter keinen Umständen mit den jetzigen Protagonisten von Umweltbewegung und grüner Politik etwas zu tun haben.

Es gibt daneben eine Gruppe Intellektueller, die ein harmloses Glühlampenverbot als Zeichen der um sich greifenden allgemeinen Bevormundung sehen. Sozusagen als Kronzeuge der These des “Tugendstaates”. Autoren der Zeit haben eine Schwäche dafür. Jan Ross hat diesen Begriff schon vor Jahren herrlich zelebriert in einem Artikel mit dem Titel “Verschont uns!” Und zwar vor Ökostrom und Auto-Feindschaft. Durch grünes Hineinregieren in die Freiheit des Einzelnen drohe nämlich was ganz Schlimmes:  ein Gemeinwesen von hochmoderner, umweltverträglicher und moralisch vorbildlicher Spießigkeit. Harald Martenstein, der lustige Kolumnist der ZEIT, hatte im Januar seinen Austritt aus der EU erklärt, wegen des Verbots von Mentholzigaretten. Er wolle keinen Staat, der ihm solche Vorschriften mache.  Und erst vor wenigen Wochen hat die Schriftstellerin Thea Dorn in der ZEIT Tempolimit und Glühlampenverbot als Vorboten des schlimmen Fürsorgestaates gedeutet.

Da lachen ja die Hühner, möchte ich Thea Dorn zurufen. Empirisch ist die Zunahme des Tugendstaates relativ zweifelhaft. Immerhin hat der Staat vor nicht allzu langer Zeit noch ganz anders ins Private hinein regiert: Frauen durften keine Verträge ohne Einstimmung des Ehemannes abschließen. Gleichgeschlechtliche Liebe wurde mit Zuchthaus bestraft und an unverheiratete Paare durften bis 1969 keine Wohnungen vermietet werden. Tendenz zum Tugendstaat? Glühbirne? Wie ich letzte Woche in deutschen Zeitungen gelesen habe, sank der Anteil der Raucher in der Gruppe der 12- bis 17-Jährigen von 27,5 Prozent im Jahr 2001 auf 12 Prozent im Jahr 2012. Lange lebe das Rauchverbot.

 

MARTIN UNFRIED ÜBER ÖKOSEX

Links zur Kolumne:
http://www.taz.de/!116541
http://oekotainment.eu/archiv/html/vom-emissionshandel-zum-heizungsverbot/mehr-ordnungsrecht-bitte
http://www.taz.de/!c116541p4633
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*) Die Grafik wird wiedergegeben mit freundlicher Genehmigung von: Miro Poferl und Utopia

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