Menü

Diese Seite wird erstellt mit freundlicher Genehmigung Zeitschrift: fairkehr

 

fairkehr-Agentur-Banner

www.fairkehr.de | www.fairkehr-magazin.de | redaktion@remove-this.fairkehr.de

14.04.2012 | Samstag | Kolumne fairkehrt 2/2012

Katholisch radeln

Kulturell katholische Radler fahren gern Stromrad, ohne zu schwitzen.

 

Ich habe einen lustigen Freund, nennen wir ihn Rainau, der verköpert den Öko der ganz alten Schule. Rainau war und ist gegen Konsum und den derzeitigen globalen Kapitalismus. Recht hat er! In diesem Sinne passt kein Blatt zwischen uns. Konsum und Kapitalismus sind auch in meinen Augen bedenkliche Schwipp-Schwager.

Andererseits lebt auch mein Freund Rainau mit gewissen Widersprüchen. Er hat ein schönes Auto unter einem schönen hölzernen Carport. Er gibt zu, das sei ein Kompromiss. Rainau wohnt nämlich in einem schönen Öko-Haus auf dem Land, wo kein Bus fährt. Er gibt zu, das sei blöd. Er tankt deshalb Erdgas, wegen der besseren Emissionen und der Steuerbefreiung. Noch so ein Kompromiss, denn Rainau hasst Putin und die fossilen Energieträger.

In Sachen Kompromissbereitschaft passt kein Blatt zwischen uns. Ich habe sogar eine Frau mit Auto. ­Allerdings mit reinem Pflanzenöl, kalt gepresst aus dem Rhein­land. Wie jeder Benzinfahrer weiß, ist das auch nicht ideal. Wenn ich mit meinem Freund, dem Alt-Öko, Bahn fahre, ärgern wir uns gemeinsam über den Atomstrom, der noch den ICE antreibt. Auch das ist nicht wirklich die reine Lehre. Das Leben im Spätkapitalismus ist eben kein kubanischer Ponyhof. Das sieht man schon daran, dass wir Kapitalismus-Dissidenten ein recht angenehmeres Leben führen.

Jetzt wird es spannend: Was trennt mich, den Öko der alten, von meinem Freund, den Öko der ganz alten Schule? Es ist interessanterweise die philosophische Frage „Strom und Rad“. Rainau ist der Meinung, das Elektrofahrrad, das Pedelec, das Fahrrad mit eingebautem Rückenwind, sei eine ­überflüs­sige Erfindung von Konsumkapitalisten. Ein Fahrrad sei ein Fahrrad, treten und schwitzen seien seine Elementarteilchen. Er versteigt sich sogar zur These, das Stromrad sei in gewisser Weise die Inkarnation des Rebound-Effektes. Er meint also, da führe ein vermeintlich ökologisches Produkt zu einer weiteren Ankurbelung des Ressourcenverbrauchs, sei also in der ­Gesamtbilanz negativ für die Umwelt.

Das macht mich sehr traurig. Ich liebe nämlich das Stromrad, seit ich mal mit einem geliehenen Dolphin mit 40 Sachen die Stuttgarter Höhen rauf und runter geheizt bin. So was ist für mich das iPad der Straße. Ich wünsche gigantische Verkaufszahlen und exponentielles Wachstum. Obwohl ich natürlich normalerweise wachstumskritisch bin. Kompromiss! Ich sage immer, Photovoltaik-Module und Stromräder gehören für mich zum qualitativen Wachstum.

Im Übrigen liegt bei meinem Pedelec-kritischen Freund ein Irrtum vor: Ein Pedelec ist ja gar kein Fahrrad! Es gehört in eine ganz andere Fahrzeugkategorie. Ist es doch das ganz neue Gefährt zwischen Kleinwagen und Fahrrad, jenseits vom doofen, stinkenden Roller. Von wegen Rebound: Wenn Zehn-Kilometer-Pendler erst einmal merken, dass sie mit eingebautem Rückenwind unverschwitzt bei der Arbeit ankommen, kann der Kleinwagen einpacken! Dann wird hektoliterweise fossiler Sprit gespart! So oder so ähnlich argumentiere ich also für elektrische Unterstützung. Und betone, dass die göttliche Unterstützung natürlich ausschließlich mit regionalem, kaltgepresstem Ökostrom gespeist werden sollte.

„Ach, Alibi-Ökostrom!“, sagt Rainau dann und hält abschließend ein ­zehn­minütiges Plädoyer für die körperliche Anstrengung, die ­Bedeutung des Schwitzens für Gesundheit und Geist und die Überschätzung der leichten Steigung an sich. Er selbst sei ­jahrelang heftige Berge zur Arbeit hochgefahren, auch daran gewöhne man sich.

„Oha!“, denke ich an dieser Stelle seines Plädoyers. „Hier liegt der Hund begraben.“ Es ist das Nicht-Schwitzen, das ihn nicht überzeugt. Der Mensch im Streben nach ökologischer Bedeutung soll schwitzen, sonst zählt das nicht. Mir ist das zu protestantisch. Ich bin kulturell eher ein katholischer Radler. Warum sich das Strampeln schwer machen, wenn es auch ­angenehm entspannt und unverschwitzt geht? Und weniger kapitalistische Warenproduktion könnte es auch bedeuten: für die Deo-Mafia.

Martin Unfried

14.04.2012 | Samstag | fairkehr 2/2012 | fairkehr, das VCD-Magazin für Umwelt, Verkehr, Freizeit und Reisen, ist die Mitgliederzeitschrift des Verkehrsclubs Deutschland (VCD) e.V. | Kolumne fairkehrt VON MARTIN UNFRIED

 

www.fairkehr-magazin.de/2012-2-fairkehrt.html | oekosex.eu/20120414a/


oekosex.eu/archiv/html/katholisch-radeln/