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23.11.2013 | Samstag | PETER UNFRIED | DIE EINE FRAGE

JFK und Al-Wazir

KENNEN SIE DIE ANTWORT AUF DIE FRAGE DES JAHRHUNDERTS, LEE HARVEY OSWALD?

 

Die Frauen radelten mit leeren Kindersitzen die Wiener Straße runter, die Gesichter starr und grau wie der Berliner Himmel. Das Leben hatte ihnen nicht gutgetan. Ich ging schnell in das Café rein - und da war er. Saß allein an einem Vierertisch, im Rücken eine gekachelte Wand, wie in einem Schlachtraum. An der Kachelwand hing ein Abreißkalender: 22. November 2013.

Wahnsinn. Ich ging direkt hin.

"Lee", sagte ich, "Sie sind es doch - oder?"

Er schaute mich mürrisch an.

"Ich bin Peter Z. Unfried."

"Oswald", antwortete er automatisch.

Sehen Sie. Und jetzt hätte ich fragen können. Es wäre das Naheliegendste von der Welt gewesen, ihn zu fragen.

Ja, waren Sie es denn nun in Dallas oder waren Sie es nicht, Lee Harvey Oswald? Das hätte ich fragen können.

Und wenn Sie es waren, aber nicht allein, wie oft haben Sie auf Kennedy geschossen, wer war der zweite Schütze, und von wem ging das alles aus?

Ich fragte aber nicht. Die Antwort, die ich suchte, konnte die Vergangenheit nicht geben. Ich nickte ihm kurz zu, nahm zwei Zeitungen und ging damit an einen anderen Tisch.

Irre, dachte ich: Jetzt ist schon die FAZ für grüne Regierungsbeteiligung in Hessen. Bouffier, der klassische Fall eines von 1968-ff-Gekränkten und die Erben der Scherben - ein Beweis der Aufklärung oder dafür, wie weit es mit den Grünen gekommen ist? Weder noch. Eine simple Kosten-Nutzen-Frage. Das ist ja das Angenehme an der CDU. Man kann sich auf sie verlassen. Wenn es um das Regieren geht (und worum sollte es jetzt sonst gehen?), kommt Pragmatismus vor Ideologie. Das ist eine Praxis, die ideologisch Andersdenkende strengstens verurteilen - weshalb sie es zu nichts bringen.

Damit ist selbstverständlich nicht die Kohlepartei SPD gemeint, die das Maximale - einen Platz als Juniorpartner einer Bundesregierung - mit einer schlüssigen Gesamtwahlstrategie sicherte. Dass die Rückkehr in die Regierung nun mit skrupulösem Getöse verpackt wird, ändert nichts daran. Das Authentische wird als Mantel gebraucht für die Inszenierung. Es geht in dieser Phase darum, den anderen einzureden, die SPD sei keine abgeschlagene 25-Prozent-Partei, sondern eine virile, diskursive, breite 40-Prozent-Partei. Das Vorbild ist der Breitmaulfrosch: Das riesige Maul soll verdecken, dass dahinter nicht mehr viel kommt.

Die SPD ist in der Realität längst nicht nur wegen eines angeblich falschen Kanzlerkandidaten oder wegen der Arbeitsmarktreformen auf ein Wählerviertel geschrumpft. Es war ja andersherum: Kandidat Steinbrück wurde als der Richtige nominiert, weil die SPD eine 25-Prozent-Partei ist und der angebliche Kanzlerkandidat eh nur zum Verbrennen gebraucht wurde.

Worum es wirklich ging, war: die Grünen für dumm zu verkaufen.

Das kann man der SPD aber nicht vorwerfen. Es braucht vor allem einen, der sich für dumm verkaufen lässt. Da sind die Grünen immer gern dabei. Wenn es Tarek Al-Wazir nach zwölf Jahren als Fraktionsführer doch nicht hinkriegen sollte und auch in Hessen die SPD mitregiert, dann würde ihn eine normale Partei zum Teufel jagen. Manche Bundesgrüne würden ihn schnellstmöglich nach Berlin befördern. Solange sie in einem Teil ihrer gequälten Seelen das Gefühl haben, es habe irgendwie ja seine moralische Richtigkeit, sich für dumm verkaufen zu lassen und die eigene Unfähigkeit zur Verantwortungsübernahme dann auch noch anmaßend mit zivilisatorischen Defiziten der Restwelt begründen, ist ihnen nicht zu helfen.

Das stimmt doch alles gar nicht mehr?

Das muss Al-Wazir erstmal beweisen.

Für jeden, der die historische Dimension der Energiewende begriffen hat, ist es der schlechteste Witz des Jahrhunderts: Die Grünen besinnen sich auf ihren Markenkern - und lassen die SPD mithelfen, die Energiewende zu verhindern. Da stellt sich doch die Frage, was gleich wieder das grüne Projekt und die angeblich zentrale Aufgabe der Gegenwart ist: die quotierte Raumfahrt und interplanetarisch freilaufende Hühner oder was?

Ich legte die Zeitung weg, stand auf und ging rüber zum Tisch von Oswald. "Lee", sagte ich, "ich muss Ihnen diese Frage stellen, denn es ist die ungeklärte Frage des Jahrhunderts." Oswald sah mich misstrauisch an. "Kennen Sie eine Partei, die die sozialökologische Transformation ernst nimmt?"

Peter Unfried ist taz-Chefreporter

23.11.2013 | Samstag | taz Nr. 10268 | Seite 19 | 164 Zeilen | Sonntaz | Kommentar | Aktuelles | Kolumne | PETER UNFRIED: DIE EINE FRAGE | JFK und Al-Wazir | KENNEN SIE DIE ANTWORT AUF DIE FRAGE DES JAHRHUNDERTS, LEE HARVEY OSWALD?

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