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Klimabilanz der taz

29.09.2012 | Samstag | PETER UNFRIED | DIE EINE FRAGE

Tote Kinder – du bist schuld

Warum beschimpfen Sie uns als Täter, Claudia Langer? Telefonat mit einer desillusionierten Klimaschützerin

 

Claudia Langer hat die Nachhaltigkeitsplattform Utopia gegründet und entwickelt. In der ganzen Zeit stand sie für eine Kommunikation jenseits der traditionellen Über-Ich-Moral des klassischen Öko. Über Moral verfügen ja fast alle Menschen: Keiner will durch Temperatur- und Meeresspiegelanstieg die Gesellschaften ruinieren. Trotzdem handelt kaum einer. Und schon gar nicht, wenn der Moral-Öko kommt und einem vorwirft, dass alle fünf Sekunden*) ein Kind stirbt. Das stimmt selbstverständlich, aber wie soll ich, Täter, mich zu der Anklage produktiv verhalten? Wie soll ich dafür sorgen, dass nur noch alle sechs Minuten ein Kind stirbt?

Ha. Sehen Sie, schon wird man zynisch. Typischer Abwehrreflex. Deshalb fand ich es auch vorwärtsweisend, dass Langer, 46, es lebbar probierte, "strategischen Konsum" von ökosozialen Produkten propagierte und sofort unter heftigen Beschuss der Moralisten geriet: Erstens sei Langer früher Werberin gewesen. Zweitens gehe es doch eigentlich nur darum, sich ein maximal gutes Gewissen bei minimalem Einsatz zu verschaffen.

Und nun kommt ausgerechnet Claudia Langer mit dem Buch "Die Generation Man müsste mal" (Droemer) und klagt darin Mittelschicht, Eliten und "grüne Lifestyle-Milieus" (sich selbst eingeschlossen) an, dass alle fünf Minuten ein Kind stirbt und wir die Zukunft unserer Kinder "kaltblütig" opfern. Gleichzeitig will sie, dass die Angeklagten endlich ihren "Zynismus überwinden".

Ich rief Sie an und fragte, was los sei. "Ich habe mich total radikalisiert." Um Gottes Willen. "Das ist Notwehr", sagte Langer. "Ich hab's ja anders versucht. Aber das Sich-gegenseitig-auf-die-Schulter-klopfen der grünen Community, weil wir Onlinepetitionen unterschreiben und im Biosupermarkt waren, das hat ja nicht funktioniert bisher." Die Klimasituation eskaliere, die Zivilisation hebe sich selbst auf, und wir ignorierten das oder beschäftigten uns selbstgefällig mit allerlei Placebos. Deshalb schmuse sie nicht mehr, sondern schreie jetzt.

Sie haben ja in der Sache recht, Frau Langer, sagte ich. Aber wie soll uns so eine Radikalmoral handlungsfähig machen? Der moderne Mensch im Klimawandel, das ist eine unauflösbar widersprüchliche Situation. Wer lebt, arbeitet, soziale Beziehungen hat, lebt ökologisch inkonsequent. Das gilt erst recht, wenn er sich gesellschaftlich engagiert. Dann muss er noch mobiler sein. Aber es gibt unterschiedliche Qualitäten der Inkonsequenz. Wir brauchen keine Anklage, wir brauchen eine Antwort auf die Frage, wie man aus seiner Mittäterschaft die Kraft ziehen kann, um sich als moralisch inkonsequentes Individuum konsequent in den Teil der Gesellschaft einzubringen, der Umsteuer-Projekte voranbringt.

"Ich suche auch noch die Gebrauchsanweisung, wie es funktioniert", sagte Langer. "Es geht mir zunächst darum, dass wir bitte einfach mal wirklich hinschauen, was wir da machen." Die Frage sei, und das könnten viele Eltern ihren Kindern nicht beantworten: "Wofür stehst du? Und vor allem: Was tust du?"

Ich habe Denken und Leben ökologisiert, sagte ich zu Langer. Meine Kinder wissen sehr genau, wofür ich stehe. Was soll ich denn noch tun? "Sie müssen vom Beobachter zum Akteur werden", sagte Claudia Langer. "Gehen Sie am besten in die Politik."

Hm. Sucht irgendeine Öko-Partei in Deutschland oder anderswo zufällig einen Spitzenkandidaten aus dem Volk?

Der Autor PETER UNFRIED ist taz-Chefreporter.

 

*)im Originalartikel auf taz.de wurden Minuten statt Sekunden angegeben

29.09.2012 | Samstag | taz Nr. 9918 | Seite 15 | 127 Zeilen | Sonntaz Aktuelles | PETER UNFRIED: DIE EINE FRAGE

www.taz.de/1/archiv/archiv/


www.taz.de/1/archiv/digitaz/artikel/


oekosex.eu/archiv/peter-unfried/html/tote-kinder-du-bist-schuld/


oekosex.eu/20120929p/

Der Text "Tote Kinder – du bist schuld" bezieht sich auf "Generation Man-müsste-mal : Eine Streitschrift / Claudia Langer" | ISBN-10: 3426275767 | ISBN-13: 978-3426275764 | EUR 18.00 | erschienen am 01.10.2012 bei Droemer | 160 S. | 205 mm x 125 mm | KATALOG DER DEUTSCHEN NATIONALBIBLIOTHEK: http://d-nb.info/1022186566 | www.droemer-knaur.de


Generation Man-müsste-mal | Eine Streitschrift von Claudia Langer | Inhaltsangabe [Angaben aus der Verlagsmeldung]:

"Man müsste mal … weniger Fleisch essen, langsamer fahren, weniger fliegen, zu Ökostrom wechseln und überhaupt keine Dinge kaufen oder tun, die … ja was? das Leben unserer Kinder, ja unserer Enkel und Urenkel ruinieren. Denn sie werden uns fragen; Was habt ihr getan? Nein, es geht nicht eine Nummer kleiner, denn der Klimawandel ist längst da, wir ersticken in Wohlstandsmüll und stressen uns digital bis zum finalen Burn-out. Nein, es sind nicht die anderen, in China, Indien, Afrika oder sonst wo. Wir selbst sind es, die Generation Man-müsste-mal, die sich so gut eingerichtet hat in der neuen grünen Mitte unserer ach so schönen, achtlos hingenommenen Demokratie. Es ist an uns allen, pardon, den Arsch hochzukriegen, um endlich die Welt zu retten. Nein, kein bisschen weniger. Ja, das ist Utopie. Aber eine Gesellschaft ohne Utopie, ohne eine Vorstellung, wie sie leben will, wird nicht überleben. Die Gründerin von utopia.de hält uns den Spiegel vor: In ihrer Streitschrift gegen unsere Leitkultur der Verschwendung und gegen die ökologische Behaglichkeit rechnet Claudia Langer ab mit unserer Faulheit und Mutlosigkeit und verlangt entschieden danach, uns selbst zu ermächtigen."

Quelle: deposit.d-nb.de/cgi-bin/dokserv