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Klimabilanz der taz

Etwas wirr und ein wenig plausibel

SCHOCK: BIN ICH WIRKLICH EIN MIESES, WOHLSTANDSVERWÖHNTES KOHLEMONSTER, DEM DIE KLIMAOPFER IN FERNEN LÄNDERN WURSCHT SIND?

 

Castorwochenende und passend in der Zeit ein toller Artikel von Frank Drieschner mit dem Titel "Atomlüge". Ich war ein bisschen depressiv in letzter Zeit, wegen der ganzen banalen Angriffe auf die Erneuerbaren und das EEG. Aber die zackige Atomlüge hat mich richtig fröhlich gemacht. Drieschner schreibt, ich und die anderen vollideologischen Atomkraftgegner, wir wollten nicht eingestehen, dass für den Klimaschutz die Laufzeitverlängerung sein müsse. Weil Atomstrom eben doch klimaneutraler sei. Weil nur so die neuen Kohlekraftwerke verhindert werden können.

Klingt dufte, wird noch besser. Dies sei die eigentlich "Atomlüge" der Castorgegner und der Grünen. Die wollten diese Klimafreundlichkeit nicht zugeben. Hmh. Und weil die Atomenergie klimafreundlich sei, sei diese Haltung so mies und egoistisch wegen der fernen Opfer des Klimawandels. Als ich das las, fasste ich mir an die eigene Nase. Ich ein egoistisches verwöhntes Kohlemonster?

Mal nachdenken. Ich hab Ökostrom und Biogas zu Hause, in Erneuerbare investiert. Aber ich glaube, das zählt nicht als Argument. Ich bleibe ein mieses Kohlestück, weil ich die Atomverlängerung ablehne. Leugne ich den klimaneutralen Effekt der Atomkraft? Nö. Aber, es gibt Wichtigeres als CO2 zählen. In der Summe der negativen Auswirkungen von Kohle und Atom ist CO2 eben nur ein Faktor. Was ich leugne, ist der Automatismus, der unterstellt wird: Länger Atomstrom bedeute weniger Kohle, und das bei gleichem dynamischem Aufbau der Erneuerbaren.

Also erstes Argument: Die Erneuerbaren können noch viel heftiger wachsen, wenn der politische Druck steigt. Bisher war der nicht hoch genug, siehe auch Effizienz und Netzausausbau.

Zweites Argument: Die großen Konzerne müssen an Einfluss verlieren. In der Energiepolitik spielt nämlich Macht eine wesentliche Rolle. Immer noch gilt: Eher ist der ADAC für Tempo 100, als dass die Konzerne freiwillig aus Kohle und Atom rausgehen. Sprudelnde Atomgewinne bedeuten eben nicht Investitionen in Erneuerbare, sondern mehr Macht, um alte zentrale Strukturen zu erhalten.

Drittes Argument: Kohle und Erneuerbare gleichzeitig hegen und pflegen war tatsächlich eine merkwürdige Politik von Rot-Grün und Schwarz-Rot. Es stimmt aber gar nicht, dass uns Atomgegnern das wurscht war. Immerhin waren es die üblichen Verdächtigen, die lokal auch Kohlekraft verhindert haben.

Viertes Argument: Ist es wirklich so, dass vor Jahren wegen des Atomausstiegs der Bau von neuen Kohlekraftwerken interessant wurde? Hmh. Tatsächlich sieht es ein bisschen danach aus. Was hier allerdings versagt hat, war der Emissionshandel. Warum haben denn die Konzerne nicht in Erneuerbare investiert, sondern in Kohle? Ich glaube, wegen der Rendite, die eben trotz Emissionshandel in der Anfangsphase immer noch goldig schien. Jetzt aber ist deutlich, dass der Emissionshandel in der Zukunft doch wehtut und Kohle unattraktiv wird. Also ist der heutige Stopp einiger Kohleprojekte nur bedingt eine Folge der Laufzeitverlängerung. Frage: Ist das wirr, oder klingt das alles plausibel?

09.11.2010 | Dienstag | taz Nr. 9339 | Seite 14 | 107 Zeilen | tazzwei | KOLUMNE ÖKOSEX VON MARTIN UNFRIED

 

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