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15.04.2012 | Sonntag | Ökosex

Gutmensch oder Gutleber?

Wer Fußball liebt ist ein Fußballfan. Wie aber heißt jemand, der das gute Leben lebt?

 

Wieder war ich Montag Abend bei einer Anhörung meines Stadtrates in Maastricht, wieder zum Thema Windpark in Stadtnähe. Wieder sprach ich als einziger Bürger für und 16 andere gegen die Turbinen. Wieder wurde mir von erregten Mitbürgern vorgeworfen, ein schlechter Mensch zu sein, weil ich die Gesundheitsrisiken des tiefen Schalls für die Bewohner angesichts anderer Risiken für akzeptabel hielte. Ich ein Schlechtmensch? Das war eher unschön. Aber emotional sehr anregend.

Diffamieren würde ich meine Beleidiger dennoch nicht, da sie sich zu recht um ihren Schlaf und den Wertverlust ihres Hauses sorgen. Leider wurden einige so wütend, dass von einem offenen Diskurs im Habermaschen Sinne, nicht wirklich gesprochen werden konnte. Aber, die Maastrichter Windenergiegegner sind deshalb noch lange keine „Wutbürger“. Denn Wutbürger ist ein mieser, diffamierender Begriff, der normales gesellschaftliches Engagement verunglimpft.

Heut will ich mal einige Begriffe klären, die im Kulturkampf der Nachhaltigkeit eine wichtige Rolle spielen. Der mieseste Kampfbegriff ist bekanntlich „Gutmensch“. Das ist genial ausgedacht. Dadurch wird soziales und ökologisches Engagement mit einem Handstreich als naives, egoistisches, verlogenes Geheuchel weggeputzt. Natürlich habe auch ich bei „Gutmensch“ die wütenden, aufgebrachten Diskutanten im Ohr, die ihre absolute Moral dem Andersdenkenden entgegen kreischen. Die waren insbesondere früher im links-alternativen Milieu zahlreich, werden aber weniger.

Hier in den Niederlanden haben die Rechtspopulisten übrigens einen ebenso genialen Kampfbegriff geprägt: „die linke Kirche“. Das verbindet nun zwei Dinge, die auf den ersten Blick gar nicht zusammen passen wollen. Gemeint ist erst mal eine dominierende, rigide Ideologie, die anscheinend das Land lange beherrschte. Damit ist lustiger weise alles gemeint vom Klimaschutz über die Menschrechte, von der Integrationspolitik bis zur Theatersubvention. Alles eben verquere „Gutmenschen Ideologie“. Und jeder, der diese Dinge noch für wichtig hält, ist gleich in der Verteidigung. Auch ein toller Kommunikationscoup. Wer möchte schon ein Gutmensch sein und zur linken Kirche gehören?

Vielleicht wäre es an der Zeit, mal einen Wettbewerb auszuschreiben für ähnliche Kampfbegriffe in die andere Richtung: „Autoheilige“ vielleicht oder „Bankenknechte“. Das sind dann eben Leute, die gut zu Autos und Banken sind. Oder „Wachstumsflüsterer“. Das sind Leute, die an das Märchen glauben, Wirtschaftswachstum im heutigen Stil führe bei uns zu mehr Wohlstand. Oder anders gesagt: der jetzige Wohlstand habe unmittelbar etwas zu tun mit dem „gutem Leben“. Ums gute Leben stritt ich am Samstag beim taz-Kongress*) im Haus der Kulturen der Welt in Berlin. Und da fiel mir auf, dass uns im Deutschen ein wesentliches Wort fehlt. Wie heißt einer, der das gute Leben einfach lebt? Mit einfach ist hier nicht gemeint, dass dies wirklich einfach ist. Das fängt wie gesagt beim Begriff an.

Da hilft nämlich der französische „Bon Vivant“ nicht weiter. Der passt zu Gaulloise, Rotwein und Käse, ist aber in der Übersetzung als deutscher Bonvivant eine Spur zu hedonistisch. Ich meine ein prima wirtschaftlich nachhaltiges, soziales und doch auch kulturell-materiell anregendes Leben im Sinne einer ganz neuen europäischen Ökosex-Vision. Ist das ein Lohas? „Huuuih“, würde sich der durchschnittliche taz-Kongress Besucher erregen: der Lohas ist doch wie der Bankenknecht und der Wachstumsflüsterer jemand, der an Kapital und Produktion nicht wirklich zweifelt. Der will doch nur ein bisschen mit Fairtrade und Bio spielen, um sich gut zu fühlen!

Ich überzeichne natürlich. Richtig ist, gut fühlen ist was anderes als gut leben. Und gut kaufen reicht natürlich auch nicht.Nicht weinen liebe Lohas, auch „Ökosexfreund“ ist als Begriff natürlich viel zu einseitig auf grün gerichtet. Wahrscheinlich brauchen wir was ganz unverbraucht Schlichtes: jemand, der gut lebt, ist ein „Gutleber“. Weiblich die „Gutleberin“. Ich weiß, das klingt ein bisschen nach guter Leber, aber etwas Besseres habe ich im Moment nicht im Angebot. So möchte ich den Begriff „Gutleber“ heute offiziell in den deutschen Diskurs einführen. Dazu wird Euch/Ihnen, also dem Schwarm, ein besserer Schmarrn einfallen. Ich bitte um Wortmeldungen, liebe Lohas, Gutmenschen und Bankenknechte.

 

MARTIN UNFRIED ÜBER ÖKOSEX

*) Die Grafik wird wiedergegeben mit freundlicher Genehmigung von: Miro Poferl und Utopia

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