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Kündigung für den Atomstrom

Kernkraftgegner sind in der Mehrheit - und können aussteigen

Die Energiekonzerne fordern offensiv längere Laufzeiten für Ihre ältesten Atomkraftwerke. Deren Gegner sind sich ihrer Macht als Konsumenten anscheinend noch immer nicht bewusst.
erschienen in: Frankfurter Rundschau, Samstag, 16. September 2006 I Nr. 216 I S/R/H/D STANDPUNKTE
(mit freundlicher Genehmigiung des Archiv / Leserservice der Frankfurter Rundschau | www.fr-online.de vom 26.07.2009)
VON MARTIN UNFRIED            .
Unterschreiben gegen die Atomkraft? Nein, ich habe nicht unterschrieben. Die Liste lag aus in Bad Godesberg beim Kongress der Ärzte gegen den Atomkrieg (IPPNW) zu 20 Jahren Tschernobyl. Nicht weil ich nicht für den Ausstieg wäre.
Nicht weil ich nicht die Konferenz und das Gedenken für sehr wichtig hielt und auch nicht weil ich das Engagement einer europaweiten Initiative nicht bewundere. Es ist das Kampagneninstrument, das mir nicht gefällt. Warum soll ich im Jahre 2006 als Bürger meinen Namen unter eine Liste setzen und diese an Politiker schicken mit der Bitte "Keine Atomkraft"?
. .Bin ich ein ein Zwerg, ein Bittsteller? Gehört die Unterschriftenliste nicht in eine Zeit und eine Situation gesellschaftlicher Kommunikation, die es so nicht mehr gibt?
Unterschriften sammeln, das machte eine gesellschaftliche Avantgarde, die gegen bornierte Parteien und eine geschlossene Industrielobby kämpfte.
DER AUTOR                                           . Und sie kämpfte vor 25 Jahren mit den richtigen Mitteln, wie wir heute wissen auf dem Marktplatz mit Unterschriften, am Bauzaun, im Wahllokal. Heute aber ist das Comeback von Unterschriftenlisten und des gelben "Atomkraft Nein Danke" Buttons eher problematisch: beim Mainstream könnte nämlich der Eindruck entstehen, dass wieder ein paar Wenige gegen die Mächtigen anrennen. Nichts ist unwahrer. Es gibt politisch immer noch einen Beschluss zum Abschalten. Es gibt seit vielen Jahren eine Umfragemehrheit gegen Atomkraft. Es gibt vorallem auch eine kulturelle gesellschaftliche Hegemonie: "Atom ist uncool" und manche ahnen schon, Atom ist sogar unnötig. Zum Glück gib es nämlich nach sieben Jahren Rot-Grün eine wirtschaftliche und technologische Macht vertreten durch die Branche der Erneuerbaren und Firmen die im Bereich Energieeffizienz tätig sind, der als wichtiger Faktor nicht mehr zu ignorieren ist. Raus aus Atom und Kohle ist kein Wunsch, sondern eine gesellschaftliche und wirtschaftliche Option. Darum sind Atomkraftgegner keine Bittsteller, sondern gesellschaftlicher Mainstream. Warum soll der irgendwo unterschreiben?

Martin Unfried arbeitet am European Institute of Public Administration in Maastricht als Senior Lecturer im Bereich Europäische Umweltpolitik. Letzte Publikation: Zu den europäischen Rahmenbedingungen der umweltfreundlicher Beschaffung der öffentlichen Hand.
http://www.eipa.nl/cms/repository/
eipascope/Scope2005_3_2(2).pdf
Buchveröffentlichungen: Z.B. Standardleitfaden für das Bundesumweltministerium: Demmke, C. and Unfried, M. (2000), Umweltpolitik zwischen Brüssel und Berlin: Ein Leitfaden für die deutsche Umweltverwaltung, Maastricht: European Institute of Public Administration. Daneben schreibt Unfried als privater Freund der Effizienzrevolution und erneuerbarer Energien zu den kulturellen Aspekten der Energiepolitik. AUD
Der Masterplan könnte so einfach sein: die Bürgerinnen und Bürger, denen Atom und Fossil missfallen, investieren in Erneuerbare und Energieeffizienz, machen sich unabhängig von den Konzernen und reagieren bei jedem Vorstoß in Sachen Atom gelassen! Soweit die Theorie. Ich gebe zu, mit dem Gelassenbleiben ist das so eine Sache. Dafür sind die wirtschaftlichen Machtverhältnisse noch immer zu unfair angesicht eines faktischen Oligopols von vier Stromunternehmen (EnBW, Eon, RWE, Vattenfall), die noch eine Menge Politiker unter Vertrag haben. Und das ist sachlich und nicht polemisch gemeint. Die Chefs dieser Atom- und Kohlekonzerne glänzen mehr denn je mit fetten Gewinnen und fordern gemäss ihres betriebswirtschaftlichen Kalküls Laufzeitverlängerungen für Atom und "Investitionssicherheiten" für Ihre Investitionen in Kohlekraftwerke.
Damit meinen sie so etwas wie staatlich garantierte Marktanteile. Und sie werben 20 Jahre nach Tschernobyl wieder offensiv für Atom. In ganzseitigen Anzeigen im Spiegel beispielsweise umgarnten sie sogar - das war vor dem Störfall im schwedischen Vattenfall-Kraftwerk Forsmark - die Jugend. Kernkraftwerke sind sicher, verkündeten sie noch vor wenigen Monaten peppig, und unterschrieben mit Ihrem guten Namen.
Das ist neu: die vier Atomkonzerne treten tatsächlich als Vierergang auf und verbleiben mit freundlichen Grüssen (Vattenfall, Eon, RWE und EnBW). Der Witz ist natürlich, dass viele Atomkraftgegner diese Proatom-Werbung mitbezahlen, denn sie sind ja immer noch Stromkunden dieser Konzerne oder deren Töchter. Die Erfahrung lehrt: Eine Unterschriftenliste unterschreiben ist einfach. Schwierig dagegen ist, sich gegen den eigenen Atomstromproduzenten zu entscheiden, der einem den Saft in die Steckdose pumpt. Wo hatte ich nochmals die Stromrechnung abgeheftet? Steinewerfen am Bauzaun war da einfacher.
. .Die Umweltbewegung hat angesichts der neuen Herausforderung erstaunlich wenig erreicht: es scheint als habe sie gerade in Ihrem eigenen Verantwortungsbereich, bei der Mobilisierung eben jener Konsumentenmacht, die den Atomausstieg per Konsumententscheidung zementieren könnte, kläglich versagt. Es ist nicht zu fassen: ein Volk von Atomskeptikern kauft im Jahre 2006 immer noch beinahe geschlossen bei Atomkonzernen und deren Töchterunternehmen.
. .Da saßen wir in Bad Godesberg, 20 Jahre nach Tschernobyl und sammelten neue Ideen für die Energiewende. Zum Spass machte einer den beliebten Stromwechselcheck. Auch unter den hunderprozentig Bewegten beim Tschernobyl-Kongress verbrät immer noch jeder Dritte den Strom eines Atomunternehmens, dessen Politik man doch für gefährlich und falsch hält. Sehr merkwürdig. Doch woran liegt es? Sind Atomenergiegegner dumm wie Brot? Könnte man meinen, ist aber natürlich nicht so. Eher schon ist hier kommunikativ etwas gründlich schief gelaufen. Es ist bei vielen nicht angekommen, dass es 20 Jahre nach Tschernobyl nur eine wichtige Unterschrift gibt, die garantiert den eigenen Ausstieg bedeutet. Das ist die Unterschrift unter die Kündigung bei den Konzernen Eon, Vattenfall, EnBW und RWE und deren Töchtern (z.B. Yello und viele Stadtwerke).
. .Und es ist leider auch nicht angekommen, dass diese Kündigung ein elegantes politisches Instrument der Konsumentenmacht ist, also auch eine gemeinschaftliche, politische Dimension hat. Unterschriftenkampagnen können also doch ein zeitgemässes Instrument sein, aber nur wenn an der richtigen Stelle unterschrieben wird.