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09.07.1991 | Dienstag | taz
„Arena 91" - Internationales Studententheater in Erlangen
Irgendwann in den sechziger Jahren stieg Claus Peymann auf die Bühne und beendete vorzeitig eine Aufführung. In Erlangen eine damals durchaus gängige Methode, um gegen eine schlechte Inszenierung vorzugehen.
Die Avantgarde schenkte sich nichts. Everding, Steckel, Enzensberger - viele Kulturgrößen von heute spielten in den fünfziger und sechziger Jahren irgendwann mit einer Studentenbühne in Erlangen. Hier zelebrierten die Studentinnen jährlich eines der wichtigsten europäischen Studententheaterfestivals. Die etablierte Theaterwelt konnte Erlangen kaum ignorieren, war es doch einer der wenigen Schauplätze innovativen Theaters. Beckett war damals ebenso sensationell wie die Entdeckung junger deutscher Autoren. Leute wie Peter Weiß und Luc Bond schrieben gezielt für studentische Bühnen. Mit Erlangen ging auch eine ganze Ära zu Ende: 1968 platzte das Festival im revolutionären Eifer.
In der vorigen Woche inszenierten Studentinnen der Theaterwissenschaft fünf Tage lang ein Comeback: „Arena 91". Doch sie mußten eingestehen, daß die eigentliche Tradition des studentischen Theaters in zwanzigjähriger Bedeutungslosigkeit untergegangen war. Robert Germay, der Leiter des renommierten Festivals in Lüttich, glaubt an eine Renaissance der Festivalkultur. Dabei haben sich die Erlanger mit erstaunlicher organisatorischer Professionalität international zurückgemeldet.
Die Bewegung der zehn Produktionen aus acht europäischen Ländern sowie aus Isarel und Brasilien lebte von den gemeinsamen Diskussionen, von der Frage nach der jeweils individuellen Qualität einer Aufführung, wobei die Projektidee wichtiger genommen wurde als schauspielerische Leistungen. Der Anspruch der „Arena"-Leute vom Gegenentwurf zum etablierten Theater wirkte überzogen. Eine Avantgarde war weit und breit nicht zu sehen, weder inhalthch noch formal.
Formal spiegelten sich unterschiedlichste Einflüsse wieder: Die belgische deutschsprachige Gruppe „Agora" inszenierte Taboris Jubiläum, wie man es von einer freien Bühne erwartet. Das Publikum saß auf jüdischen Grabsteinen und wurde emotional hart attackiert. Doch trotz bewußt eingezogenem Zeigefinger blieb am Ende jene merkwürdige Betroffenheit, mit der die Enkelgeneration nicht mehr viel anfangen kann. Ganz anders Schauspielschüler aus Tel Aviv und Ankara, die in Inszenierungen im traditionellen Stil handwerkliches Können zeigten.
Problematisch dagegen der Versuch, Stadttheater zu imitieren. Besonders in der Lütticher Inszenierung von Thomas Braschs Lovely Rita beging der Routinier Robert Germay eine Todsünde: Er überforderte sein Ensemble hoffnungslos.
Die originellsten Momente blitzten immer dann auf, wenn die Originalität eines Projektes zu spüren war. Sieben Studentinnen aus Granada, die mit frischem Bewegungstheater von ihren eigenen Träumen und Ängsten erzählten, vermittelten eine Authentizität, die im professionellen Theaterbetrieb kaum anzutreffen ist.
Inhaltlich hatte das Festival mit den sechziger Jahren nichts mehr zu tun. Früher war es wesentlich einfacher, die Gesellschaft radikal anzugreifen. Heute bleibt nur das Aufgreifen punktueller Einwürfe. Obwohl in Erlangen kein einziges aktuelles, politisches Thema auf die Bühne kam, waren dennoch alle Stücke politisch: Im Mittelpunkt standen Frauen, konfrontiert mit Zwängen unterschiedlicher Kulturen. Die Türkinnen zeigten die Unterdrückungsmechanismen einer patriarchalischen Stammesgesellschaft. Die israelische Protagonistin kämpfte mit den Schwierigkeiten einer umhegten Tochter aus großbürgerlichem Hause. Das war die unausgesprochene Stärke des Festivals. Diese eher ungeplante Eingrenzung betonte den internationalen Charakter. Unterschiedliche kulturelle Herangehensweisen waren deutlich zu sehen. Schade, daß sie syrische Variante fehlte. Dem zehnköpigen Frauenensemble aus Damaskus entzog die syrische Regierung kurz vor der Abreise die Visa. Martin Unfried
09.07.1991 | Dienstag | taz Nr. 3451 | Seite 16 | 188 Zeilen | taz | VON MARTIN UNFRIED
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