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14.10.2017 | Samstag | Kolumne fairkehrt 5/2017

Als ich beim solaren Probefahren weinte

Er weinte vor Glück: Der Sion trieb Martin Unfried Freudentränen in die Augen.

 

Ich habe mich sehr über einen Leserbrief von Dr. Helmut Breuninger aus Tübingen zu meiner Kolumne zum elektrischen Kleinwagen e.go aus Aachen gefreut. Er warf mir vor, ich hätte das tolle Konzept verhöhnt. Das sei für den VCD unwürdig. Da ich ein ausgesprochener Elektrofreak bin, war ich erst verwundert. Wie Herr Breuninger bin ich der Meinung, ein leiser, bezahlbarer Elektro-Zweitwagen ist ein Segen für die Stadtluft.

Ich habe dann meinen Text nochmals gelesen. Und tatsächlich: Ich nörgle im Grunde an Kleinigkeiten und Marketingstrategien rum, die wir Elektrofreunde besser unter uns besprechen sollten. Denn grundsätzlich geht es um die Basics: Elektrifizierung ist heute schon möglich, umweltpolitisch nötig wegen Gesundheits- und Klimaschutz und einfach cool, großartig und herzerfrischend.

Warum aber ist eine komplexere Kommunikation im Moment so schwierig? Weil die schnelle Elektrifizierung leider selbst bei den Freunden des VCDs nicht unumstritten ist. Das hat insbesondere mit der unsäglichen und heftigen Anti-Lobby zu tun, die gerade vor der Bundestagswahl explodierte: „Der große Schwindel mit den Elektroautos“ (Spiegel Online), „schneller Umstieg … zum jetzigen Zeitpunkt mehr Schaden als Nutzen“(Christian Lindner), „Elektroquote Blödsinn“ (Horst Seehofer).

Nein, ist sie nicht. Sie ist sogar eine Möglichkeit, mittelfristig heftige Fahrverbote in Innenstädten für Seehofers geliebten Diesel zu vermeiden. Aber viel schlimmer: Wenn 2030 noch massiv Benziner und Diesel zugelassen werden, scheitert das Pariser Abkommen bereits am Autoverkehr. Dazu ist die Elektrifizierung mit Akkus im Moment für Umweltfreunde die einzige praktische Option, erneuerbar Auto zu fahren. Wir sind nämlich individuell nicht abhängig von Braunkohle und dem deutschen Strom-Mix. Das E-Auto unterm solaren Carport ist in diesem Sinne nicht nur das Symbol für weniger lokale Emissionen und einen viel effizienteren Antrieb, sondern für eine unglaubliche Revolution. Der Solarcarport ist die Unabhängigkeitserklärung gegenüber Shell und BP.

Leider wird viel zu wenig kommuniziert, dass viele Menschen schon heute ihren erneuerbaren Sprit selber machen könnten. Genau das wird von dem Münchner Start-up Sono Motors auf die Spitze getrieben. Das sind junge Pioniere, die ein erfrischendes Konzept für ein E-Auto mit integrierten Photovoltaik-Modulen entwickelt haben: den Sion. Erste Überraschung: Die haben im Juli wie versprochen mit Crowdfunding und Investoren tatsächlich zwei Prototypen fertiggestellt, indem sie sich einfach aus dem Teilelager der Branche bedient haben. Autositze und Bremsen gibt es schließlich von der Stange.

Nun durfte ich vor wenigen Wochen in Düsseldorf einen solchen Sion Probe fahren. Zweite Überraschung: Die Kiste fährt sich super und wenn sie für 20.000 Euro inklusive Batterie im Jahr 2019 tatsächlich von einem Auftragsunternehmen gebaut wird, wäre das nach dem Streetscooter der Post und dem e.go, Produktionsstart 2018, ein dritter wichtiger Schlag gegen das Oligopol der einfallslosen deutschen Konzerne.

Der Sion hat fünf richtige Sitze und einen großen Kofferraum. Nach den Angaben der Firma verbraucht er 13 Kilowattstunden Strom auf 100 Kilometer und hat eine Reichweite von 250 Kilometern. Die Photovoltaik ist das Designbestimmende Element. Ich weinte beim Aussteigen. Die Sonne schien nämlich auf’s Autodach: Da sollen die Photovoltaik-Module auf der Karosserie täglich bis zu 30 Kilometer Reichweite produzieren. Für mich, mehr als ein emotionales Verkaufsargument. Es ist das phantasievolle Gegenstück zum verzweifelten Update des Euro-6-Diesels. Doch Achtung! Der e.go und der Sion brauchen Millionen Unterstützer. Die treten immerhin gegen Giganten an. Da geht es um nichts weniger als um ein solares Wunder. Das Start-up Sono Motors hat nämlich 22 Festangestellte. Und VW weltweit 627 000.

Martin Unfried

14.10.2017 | Samstag | Kolumne fairkehrt 5/2017 | fairkehr, das VCD-Magazin für Umwelt, Verkehr, Freizeit und Reisen, ist die Mitgliederzeitschrift des Verkehrsclubs Deutschland (VCD) e.V. | Als ich beim solaren Probefahren weinte | Er weinte vor Glück: Der Sion trieb Martin Unfried Freudentränen in die Augen. | Kolumne fairkehrt von Martin Unfried | Bio: de.wikipedia.org/wiki/Martin_Unfried

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